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Sozialperspektivität : theoretische Bezüge, Forschungsmethodik und ...

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Kapitel 2<br />

Nach der soziologischen Auffassung der Pluralistic Ignorance ist die geteilte<br />

Meinung über die Mehrheitsmeinung insofern ein ,Irrtum‘, als sie mit den (privaten)<br />

Einstellungen nicht übereinstimmt. Das öffentliche Verhalten bilde die Mehrheitsvermutung<br />

jedoch korrekt ab <strong>und</strong> sei daher – ebenso wie im Verdrängungs-<br />

Projektions-Modell, wenn auch mit anderer Begründung – zur Verhaltensvorhersage<br />

besser geeignet als die erfragten Selbstbilder.<br />

„There is a difference between situations involving the perceptual distortion of otherwise<br />

accurate information and those involving the veridical perception of false or misleading information“<br />

(O´Gorman 1986:334).<br />

Beispielsweise sind Mehrheitsvermutungen oft auch in dem Sinne konservativ,<br />

als sie einen gesellschaftlichen Einstellungswandel langsamer anzeigen als sich die<br />

erfragten persönlichen Meinungen gewandelt haben (Fields & Schuman<br />

1976:432ff; O´Gorman & Garry 1976:457; Moscovici 1995:308, Shamir & Shamir<br />

1997:248ff – hier existieren aber auch widersprechende Bef<strong>und</strong>e) 67 . Während<br />

manche Autoren dem kollektiven Gebilde selbst Motivationen unterstellen<br />

(„sie [die Sozialen Repräsentationen] streben nach Bestätigung ihres Sinngehalts“<br />

Moscovici 1995:308), wird die Konservativitätstendenz von den meisten<br />

Autoren als Hinweis auf die informationale Basis der (vielen individuellen) Vermutungen<br />

gedeutet: Mehrheitsvermutungen bündeln Beobachtungen des durch<br />

(noch) bestehende Normen <strong>und</strong> Institutionen gesteuerten Verhaltens, diese Indikatoren<br />

aber verlieren in Zeiten gesellschaftlichen Umbruchs an Validität.<br />

Shamir & Shamir (1997:254) demonstrieren im Messwiederholungsdesign die<br />

Konservierung politischer Mehrheitsvermutungen bei deutlichem Einstellungswandel<br />

bis zum Zeitpunkt der Regierungswahl, an dem die Mehrheitsmeinung<br />

offenk<strong>und</strong>ig wird <strong>und</strong> sich die vermutete Mehrheitsmeinung sprunghaft der tatsächlichen<br />

angleicht.<br />

Für Shamir & Shamir (1997:251) ist daher klar, dass die moderneren persönlichen<br />

Einstellungen (z.B. zur Geschlechtergleichberechtigung) ,wahr‘ (veridikal)<br />

67 Die im Gegensatz zur ,Konservativität als Regression-zur-Mitte‘ (s. Tab. 2_3, Abb. 2_38) hier zeitlich<br />

(<strong>und</strong> nur manchmal auch gleichzeitig politisch) gemeinte Konservativitätshypothese widerspricht<br />

z.B. den provozierenden Bef<strong>und</strong>en von Noelle-Neumann: zwar blieb im B<strong>und</strong>estagswahlkampf<br />

1965 die Verteilung der persönlichen Absichten über den Wahlkampfsommer<br />

hinweg etwa konstant, die vermutete Mehrheitsmeinung (Wahlprognose durch die Befragten)<br />

nahm aber zugunsten einer Partei monoton zu (1979:195-197). Die vermutete Mehrheitsmeinung<br />

ändert sich aber wohl nur dann schneller als das Aggregat persönlicher Meinungen, wenn Massenmedien<br />

die jeweils progressive Meinung vertreten (a.a.O.:201ff). Ähnlich argumentierte F.H.<br />

Allport (1940:252f) mit zusätzlichem Verweis auf das Propaganda-Ministerium Hitlers.<br />

Hinzufügen lässt sich, „that sometimes mass media are not enough, and only a high compelling<br />

event can fix a pluralistic ignorance situation“ (Shamir & Shamir 1997:231).<br />

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