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Sozialperspektivität : theoretische Bezüge, Forschungsmethodik und ...

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Kapitel 2<br />

Ideologien legitimieren Verhalten. Ein eindrückliches Beispiel, der sogenannte<br />

Eigennutz-Mythos (myth of egoism), wird auch in der psychologischen Literatur<br />

diskutiert (Miller 1999): Ob Egoismus nun, wie z.B. im evolutionsbiologischen<br />

Modell, als bewährter, oder, in einem Teil der psychologischen Empirie, als „at<br />

best only a weak predictor“ (Miller & Ratner 1998:59) gilt, zur Schaffung<br />

,Sozialer Tatsachen‘ genügt meist schon die kollektive Unterstellung seiner allgemeinen<br />

Wirksamkeit bei anderen (vgl. ,Thomas-Theorem‘). Dies in der Sozialpsychologie<br />

als selbsterfüllende Prophezeiung von Vorurteilen oder impliziten<br />

Persönlichkeitstheorien (also inakkuraten Metaperspektiven) bezeichnete Phänomen<br />

ist besonders brisant, da der Eigennutz in wissenschaftlichen Paradigmen<br />

(Evolutionsbiologie, neoklassische Wirtschafts- <strong>und</strong> Entscheidungstheorie, aber<br />

auch in motivationalen Theorien der Wirtschafts- <strong>und</strong> Sozialpsychologie) schon<br />

den Status des Axioms erreicht hat. In fünf Studien weisen Miller & Ratner<br />

(1998) nach, dass anderen egoistische Einstellungen <strong>und</strong> Verhaltenentscheidungen<br />

unterstellt werden 45 , auch wenn die persönliche Meinung oder Verhaltensintention<br />

der Befragten nicht oder nur kaum mit den Eigennutz-Prädiktoren (manipulierte<br />

externe Anreize oder Zugehörigkeit zur Betroffenheits-Kategorie)<br />

korrelieren. Mit den (daher inakkuraten) Antizipationen der Intention anderer<br />

(der Self-Interest-Overestimation aus Tab. 2_3) geht einher, dass man bei anderen<br />

vermutet, sie unterstellten anderen ebenfalls egoistische Einstellungs- <strong>und</strong><br />

Handlungsgründe (vgl. P[O[x]] → P[O[P[x]] in Studie II, Abb. 2_15). Will sich<br />

eine Person nun bspw. uneigennützig für eine Sache engagieren, muss sie befürchten,<br />

dies kaum legitimieren zu können 46 <strong>und</strong> als Betroffener stigmatisiert zu<br />

werden. Daher unterlässt sie ihr Engagement. In Konsequenz lässt sich dann<br />

keine Korrelation zwischen persönlicher Betroffenheit (Eigennutz) <strong>und</strong> (privater)<br />

Einstellung, wohl aber eine solche zwischen Betroffenheit <strong>und</strong> beobachtbarem<br />

Verhalten feststellen (myth create reality). In Folge wird der (sozial geteilte<br />

<strong>und</strong> als geteilt angenommene, also ePiP-konsensuale) Glaube an die egoistische<br />

Verhaltensdetermination verstärkt (<strong>und</strong> damit die Veridikalität der einzelnen Metaperspektiven<br />

– <strong>und</strong> der o.g. wissenschaftlichen Modelle – weiter gesenkt).<br />

Die von Miller & Ratner (1998) untersuchte Überschätzung des für Betroffenen<br />

<strong>und</strong> Nichtbetroffenen vermuteten Unterschieds von Meinungen (zu bspw.<br />

einer die Betroffenen einschränkenden Veränderung) lässt sich auch als Kategorisierungseffekt<br />

(Akzentuierung, Kontrast, Stereotypenanwendung, ,correlational<br />

heuristics‘) beschreiben. Definitorisch liegt eine Pluralistic Ignorance nämlich<br />

45 z.B. dass Kommilitonen nur bei finanzieller Belohnung Blut spenden, Frauen die Krankenkassenabrechung<br />

von Abtreibungen stärker befürworten, Raucher verschiedene Rauchverbote<br />

stärker ablehnen würden usw. als jeweils Nicht-Betroffene.<br />

46 Auch das institutionalisierte Klagerecht gilt nur für persönlich Betroffene (Miller 1999:1058).<br />

Der Autor arbeitet eine Reihe von Möglichkeiten heraus, wie individualistische Kulturen dafür<br />

sorgen, dass Eigennutz nicht nur anderen unterstellt, sondern sogar als wünschenswert deklariert<br />

<strong>und</strong> gleichbedeutend mit rationalem Handeln internalisiert wird.<br />

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