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Das Hörspiel. Dramaturgie und Geschichte - Mediaculture online

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ewiger Kreislauf um eine Mitte, verstanden werden. Es wäre Gegenstand einer<br />

universalen Geistesgeschichte, den vielfältigen Wechsel der Deutungen zu beschreiben.<br />

Fest steht, daß mit dem aufkommenden Christentum das zyklische Zeitgefühl der Alten<br />

durch ein gerichtetes abgelöst wurde. Die Welt ruhte nun nicht mehr als vollkommene<br />

Einheit geschlossen in sich selber, so daß ihr lebendiger Atem nur Wiederholung,<br />

Kreisbewegung sein konnte, sondern sie wurde transzendent. Sie wurde ein Fragment,<br />

das über sich hinauswies: dorthin, wohin die Spitzen ihrer Dome zeigten, <strong>und</strong> von wo<br />

auch das Ende der Zeit bald kommen mußte. Die mittelalterliche Kunst scheint zu lehren,<br />

daß sich dies endzeitlich gerichtete Gefühl in Architektur <strong>und</strong> Plastik leichter darstellen<br />

läßt als in den Künsten der Zeit, in Musik <strong>und</strong> Dichtung.<br />

Als es nach oben <strong>und</strong> nach unten, gegen Himmel <strong>und</strong> Hölle, keine Grenzen mehr gab,<br />

<strong>und</strong> als auch die empirische Zeit unbegrenzt erschien, mit der Welt der Renaissance, erlitt<br />

das gerichtete Zeitgefühl seine schwerste Erschütterung. Auch innerhalb der Kirche<br />

schwand die eschatologische Vorstellung mehr <strong>und</strong> mehr, gewann, im täglichen <strong>und</strong><br />

jährlichen liturgischen Umschreiten der Passion als Mitte, das zyklische, das<br />

geschlossene System wieder größte Bedeutung. Im Barock <strong>und</strong> in der Gegenreformation<br />

fand es Ausdruck in den universalen metaphysischen Systemen des 17. Jahrh<strong>und</strong>erts <strong>und</strong><br />

in der polyphonen Musik bis hin zu Johann Sebastian Bach.<br />

Von der Renaissance an bis zur Bach-Zeit empfand man auch die Musik als eine Art<br />

abbildender Kunst, sogar die unprogrammatische Instrumentalmusik. Die Kunsttheoretiker<br />

um <strong>und</strong> nach 1700 (Alexander Gottlieb Baumgarten) <strong>und</strong> ebenso die damaligen<br />

Musikästhetiker (A. Werkmeister oder Joh. Mattheson) bek<strong>und</strong>en übereinstimmend, durch<br />

den Zusammenklang der vielfältigen Stimmen zum Ganzen wolle das Kunstwerk auf die<br />

Harmonie der Schöpfung hinweisen, <strong>und</strong> durch ihre Nachbildung wolle es ein Lobpreis der<br />

Ordnung Gottes sein. Damit war natürlich nicht gemeint, daß die Musik die Schöpfung<br />

äußerlich nachahme, die Tendenz ging vielmehr auf etwas Metaphysisches. Nur durch<br />

Bemühung um metaphysische Ganzheit kann das einzelne Werk Geschlossenheit<br />

anstreben; stellt es etwas Äußerliches dar, kann es nie Geschlossenheit <strong>und</strong> Ganzheit<br />

erreichen, sondern bleibt offen wie das äußere Erscheinungsbild der Welt, wie die<br />

zufällige empirische Zeit.<br />

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