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Das Hörspiel. Dramaturgie und Geschichte - Mediaculture online

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Gründerjahre gehen <strong>und</strong> in die große akademisch-theologische Zusammenfassung aller<br />

Strömungen von der Scholastik bis zum hierarchischen Absolutismus einmünden, ehe<br />

sich Licht <strong>und</strong> Farbe mit der Perspektive, das Lyrische mit dem Dramatischen zu<br />

überwölbenden kosmischen Entwürfen vereinigen <strong>und</strong> durchdringen konnten. Der<br />

Mittelpunkt der Kunstübung, die aus der genialen Zusammenschau eine ungeheure<br />

Virtuosität entwickelte, lag dann in Österreich <strong>und</strong> Süddeutschland, also nicht mehr<br />

jenseits der Alpen, wo man einst die technischen Voraussetzungen geschaffen hatte. Die<br />

gleichsam weltlich gewordene Mystik der Gegenreformation <strong>und</strong> das universale System,<br />

dessen Ausdruck Leibnizens riesiges prästabiliertes Gedankengebäude war, mußten sich<br />

erst mit der habsburgischen Reichsidee paaren: dann erst setzte sich leicht <strong>und</strong> licht –<br />

viel zu leicht <strong>und</strong> zu licht – das irdische Reich unmittelbar in einen himmlischen Überbau<br />

hinein fort.<br />

Es war kein ganz großer Kunststil, der daraus entstand, <strong>und</strong> die Art, wie er die Wirklichkeit<br />

zerbrach, indem er sie einfach zu den Himmlischen hinauf ausdehnte, war etwas<br />

gewaltsam. Aber immerhin: der Effekt hatte einen Augenblick lang Ähnlichkeit mit der<br />

Erfahrung derjenigen, denen die Wirklichkeit ohne Gewaltsamkeit <strong>und</strong> von selber<br />

zerbrochen ist. Auch damals wurde die Erde plötzlich trotz aller Größe überschaubar klein,<br />

<strong>und</strong> auch heute, wenn man sie nicht extensiv, sondern intensiv betrachtet, wächst die<br />

Materie unter unsern Blicken unversehens in einer Richtung, die das Ende aller<br />

bisherigen Realitätsvorstellungen bedeutet. Jedesmal fühlt sich der Mensch vor der<br />

wimmelnden Fülle der Welt <strong>und</strong> der Mitmenschen, vor der kosmischen Größe der<br />

Aufgaben <strong>und</strong> der Macht, die in den Händen einzelner liegen, zwergenhaft winzig. Daß zu<br />

jener Zeit die Gemeinsamkeit zwischen den Winzigen zugleich in einem übergeordneten<br />

religiösen System von hierarchischer Architektonik gipfelte, macht keinen Unterschied,<br />

weil das System die Liebe der Vielen kaum besaß. Es mag im Gegenteil fast ebenso als<br />

eine übermächtige irrationale Gefahr erschienen sein wie die totalitären Gefahren, unter<br />

denen wir uns heute ducken. Wer es sich leisten konnte, täuschte sich auch damals<br />

schon mit den gleichen Mitteln darüber hinweg: durch überwölbenden Pomp.<br />

Die Verlegenheit, in die Philosophie <strong>und</strong> Theologie in solchen Zeiten geraten, wenn sich<br />

der »Fortschritt« oder »die beste aller Welten« nicht mehr mit ganz reinem Gewissen<br />

preisen lassen, bewirkt dann, daß die schöpferische Macht der Künstler desto größer<br />

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