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Das Hörspiel. Dramaturgie und Geschichte - Mediaculture online

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die dem Willen <strong>und</strong> der Freiheit des Monologisierenden ebensowenig unterliegt wie die<br />

äußere. <strong>Das</strong> monologisierende Ich kann vielleicht zwischen beiden stehen. Auch der<br />

Hörer kann als Resultante der verschiedenen Positionen <strong>und</strong> des Widerspruchs zwischen<br />

Außen <strong>und</strong> Innen einen eigenen Standort beziehen. Der Innere Monolog ist ja nicht nur<br />

sozusagen der Kommentar der äußeren Vorgänge, sondern die äußeren Vorgänge<br />

illustrieren in ihrem Ablauf auch immerfort die Gedanken <strong>und</strong> Gefühle des<br />

Monologisierenden <strong>und</strong> führen sie ad absurdum. So ergibt sich aus der Spannung<br />

zwischen dem äußeren <strong>und</strong> dem inneren Geschehen eine Art eigentlicher Wirklichkeit, die<br />

sich weniger der Monologperson als den Zuhörern auftut. Gegenstand der rätselratenden<br />

Phantasie des Hörers ist dann nicht nur, wie etwa bei einer Kriminalgeschichte, die<br />

unbekannte Vorgeschichte <strong>und</strong> die Motivik, sondern viel mehr noch der Mensch, durch<br />

den man alles erfährt. Er kann, da er sich ja unbeabsichtigt, monologisierend, selbst<br />

verrät, in alle Verdachte mit einbezogen werden.<br />

Genau dies ist der Fall von Schwester Henriette, <strong>und</strong> es macht auch den Reiz dieses<br />

Stückes aus. Eine Kriminalgeschichte liegt zugr<strong>und</strong>e, ein Selbstmord, der für einen Mord<br />

gehalten werden kann. Oder ein Mord, den die monologisierende Schwester für einen<br />

Selbstmord hält? Die Gerichtsverhandlung steht bevor. Schwester Henriette wird heute<br />

nachmittag zwar nur als einer der nebensächlichen Zeugen aussagen, aber sie ist<br />

vielleicht weniger nebensächlich, mehr verflochten, als die Öffentlichkeit <strong>und</strong> das Gericht<br />

wissen. Darin besteht ihr geheimes Glück <strong>und</strong> ihr geheimes Unglück. Sie hat den Toten<br />

gepflegt, ein starkes Verhältnis verband sie mit ihm. Allerdings, ob auch er mit ihr so<br />

verb<strong>und</strong>en war, bleibt unklar, trotz einiger Beweise seines Vertrauens. Und hier nun liegt<br />

die tiefere Spannung, das Eigentliche der <strong>Geschichte</strong>, aus dem die abgründige<br />

Einsamkeit der Schwester verständlich wird.<br />

Bei Wellershoffs dreißig Jahre jüngerem <strong>Hörspiel</strong> Die Sekretärin gibt es eine solche<br />

Kriminalgeschichte nicht. Vielleicht darf man Wellershoff in dieser Hinsicht moderner<br />

nennen, allgemeingültiger, weil er alltäglicher sein will. Auch die Sekretärin hat eine<br />

Begegnung mit einem Manne gehabt – freilich nur eine von den trivialen Begegnungen,<br />

bei denen die Kraft zur Illusion schon nicht mehr ganz ausreicht, eins von jenen<br />

Erlebnissen, durch die einsame Frauen heute fast bis zur Prostitution erniedrigt werden.<br />

Daß Wellershoff seine <strong>Geschichte</strong> so absichtlich pointelos vonstatten gehen läßt, zwingt<br />

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