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Das Hörspiel. Dramaturgie und Geschichte - Mediaculture online

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So verstehe ich Wolfgang Hildesheimer, <strong>und</strong> ich glaube, er versteht sich (trotz des Irrtums<br />

seiner Erlanger Selbsteingruppierung bei Ionesco) auch selber so: »›Sieh da‹, sagte der<br />

Blinde zum Sehenden, ›ein Löwe!‹ Und der Sehende sah tatsächlich einen Löwen. ›Woher<br />

weißt du, daß dort ein Löwe ist?‹ fragte der Sehende den Blinden. ›Ich habe ihn mir<br />

erträumt‹, sagte der Blinde.« Dies ein Zitat aus Hildesheimers jüngstem <strong>Hörspiel</strong>.<br />

Hildesheimer selbst aber zitiert am liebsten Max Frischs tiefsinnigen Satz: »Die Wahrheit<br />

läßt sich nicht zeigen, sondern nur erfinden.«<br />

Die Übereinstimmung zwischen Dürrenmatts <strong>und</strong> Hildesheimers <strong>Hörspiel</strong>entwicklung geht<br />

trotz allem aber so weit, daß beide im Laufe der Zeit übereinstimmend immer mehr zu<br />

jener Art des <strong>Hörspiel</strong>s gelangt sind, die die Kennzeichen des Einakters trägt: Einheit von<br />

Ort, Zeit <strong>und</strong> Handlung. <strong>Das</strong> gilt schon für Dürrenmatts vorletztes <strong>und</strong> bisher wohl<br />

großartigstes <strong>Hörspiel</strong> Die Panne (56), <strong>und</strong> das gilt auch schon für Hildesheimers vorletzte<br />

R<strong>und</strong>funkarbeit Herrn Walsers Raben (60). Früher findet sich bei beiden die Form des<br />

Erzählerhörspiels: Hildesheimers Opfer Helena (55) <strong>und</strong> seine Begegnung im<br />

Balkanexpress (53) gehören dahin <strong>und</strong> ebenso Dürrenmatts Herkules <strong>und</strong> der Augiasstall<br />

<strong>und</strong> seine beiden ersten in Deutschland aufgeführten <strong>Hörspiel</strong>e Der Prozeß um des Esels<br />

Schatten (52) <strong>und</strong> Stranitzky <strong>und</strong> der Nationalheld (52). Wiederum aber unterscheiden<br />

sich beide Autoren gründlich darin, daß Hildesheimers <strong>Hörspiel</strong>e auf dem Theater <strong>und</strong> im<br />

Fernsehen nur sehr schwer oder gar nicht aufzuführen sind – bestenfalls so, daß das<br />

Wort seine dominierende Funktion behält, also im Stile der Kleinkunst, wie es die<br />

Studentenbühnen immer wieder versuchen. Die <strong>Hörspiel</strong>e des Dramatikers Dürrenmatt<br />

dagegen enthalten immer noch so viel Herausforderung zur Mimik, daß sogar<br />

Abendst<strong>und</strong>e im Spätherbst als Einakter auf dem Theater eine beachtliche Wirkung hatte,<br />

im Fernsehen aber, ebenso wie Die Panne, wohl gar suggestiver war als im Hörfunk.<br />

Man kann überhaupt an Dürrenmatt <strong>und</strong> Hildesheimer – als drittem dazu an Max Frisch –<br />

ein Problem besonders gut studieren: das der verschiedenen Distanz der drei<br />

darstellenden Instrumente. Die alte Dame erwies im Fernsehen, daß sie die<br />

zwischengeschaltete Rampe braucht; sie ist mit zu großzügigen Strichen gemalt, als daß<br />

sie die indiskrete Abstandlosigkeit des Bildschirms vertrüge. Selbst wenn Dürrenmatt –<br />

mit seinen <strong>Hörspiel</strong>en – auf die allernächste, die R<strong>und</strong>funkdistanz, gehen will, bei der, wie<br />

gesagt, der Zuhörer mitten unter den Akteuren auf der »Bühne« steht, gerät es ihm noch<br />

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