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Das Hörspiel. Dramaturgie und Geschichte - Mediaculture online

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Die wichtigste Blende ist die Zeitblende, denn auch die Realitätsblende <strong>und</strong> die Stilblende<br />

(die es in ausgeprägter Form wohl nur im <strong>Hörspiel</strong> gibt) sind eine Art Zeitblende, insofern<br />

epische Zeit eine andere als dialogische, Phantasiezeit eine andere als reale ist.<br />

Die Beispiele aus den anderen Künsten, außer der <strong>Hörspiel</strong>kunst, wurden vor allem<br />

herangezogen, um deutlich zu machen, daß Zeitblenden nur hei Reduzierung auf die<br />

Eindimensionalität möglich sind. Im bewegten Lichtbild sind sie ohne besondere<br />

Kunststücke <strong>und</strong> ohne die Hilfe des Wortes nicht ausführbar, auf dem Theater nur, wenn<br />

vorher die kompakte Realität zerstört wird, damit die Eindimensionalität des Wortes die<br />

Übermacht gewinnt. Dem <strong>Hörspiel</strong> aber, das sich in einem eindimensionalen Hörraum<br />

vollzieht, ist die Zeitblende so selbstverständlich wie dem Film, dessen »Spielraum«<br />

photographierte Dreidimensionalität ist, die Schauplatzblende, der Sprung von einer<br />

Blickrichtung zur anderen. Nur daß die Zeitblende eben nicht bloß wie der Filmschnitt als<br />

technischer Vorgang zu vollziehen ist, sondern allein mit dem Wort, das im <strong>Hörspiel</strong> so<br />

eindeutig dominiert, wie im Film die technische Lichtbilderfolge.<br />

<strong>Das</strong> <strong>Hörspiel</strong> existiert ausschließlich (technisch-akustisch <strong>und</strong> geistig, weil auch der<br />

Sprachraum linearen, der Phantasieraum punktuellen Charakter hat) in diesem einzigen<br />

Element, in der eindimensionalen Zeit. Der Dichter ist ihr Herr, er kann sie brechen <strong>und</strong><br />

zerbrechen <strong>und</strong> ihr eine Abfolge unabhängig von jeder Chronologie geben, wie er will.<br />

Durch den Dichter aber erlebt dann auch der Hörer die spielerische Lust der Freiheit im<br />

Zeitablauf. Dieses Spiel, vor allem durch die Spannung, in der es zur empirischen Zeit<br />

steht, macht den genuinen Reiz des <strong>Hörspiel</strong>hörens aus. Daher erhält das <strong>Hörspiel</strong> auch<br />

jenen Anschein von Irrealität, der häufig als Geisterhaftigkeit apostrophiert <strong>und</strong><br />

mißverstanden oder oberflächlich verstanden wird. Schon vor dem Krieg, in der ersten<br />

Periode der <strong>Hörspiel</strong>entwicklung, gab es (bei Pongs <strong>und</strong> Kolb nachzulesen) jenes<br />

Mißverständnis, als ob die eigene <strong>und</strong> eigentliche Domäne des <strong>Hörspiel</strong>s gegenüber<br />

anderen Literaturgattungen darin bestehe, daß es Gegenstände, Abstrakta <strong>und</strong><br />

Gespenster sprechen lassen könne. <strong>Das</strong> ist ein Irrtum, denn sprechende tote Realitäten<br />

<strong>und</strong> Spukirrealitäten sind im <strong>Hörspiel</strong> genauso amüsant oder unbehaglich wie anderwärts,<br />

je nachdem, wie sie zur Sprache gebracht werden. Was bei flüchtiger Betrachtung<br />

geisterhaft erscheint, ist etwas ganz anderes: nämlich die Souveränität über die Zeit, die<br />

in der konsequenten, unkörperlichen Eindimensionalität ihren Gr<strong>und</strong> hat.<br />

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