08.10.2013 Aufrufe

Das Hörspiel. Dramaturgie und Geschichte - Mediaculture online

Das Hörspiel. Dramaturgie und Geschichte - Mediaculture online

Das Hörspiel. Dramaturgie und Geschichte - Mediaculture online

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Der römische Feldherr Lukullus ist gestorben; seine gewaltigen Siege im Osten des<br />

Reichs – wobei er freilich auch viele h<strong>und</strong>erttausend Soldaten geopfert hat – erlauben<br />

ihm, sich stolz als auf den einzigen sachverständigen Beurteiler seiner Taten auf den<br />

»großen Alexander von Makedämon« zu berufen. Nun also trägt man seinen Katafalk<br />

durch die Straßen Roms. Den Weg des riesigen Trauerzuges flankieren das bittere<br />

Gespött des Proletariats, dem er die Opfer abforderte, <strong>und</strong> die rühmenden Nachreden der<br />

Reichen, die er noch reicher gemacht hat. In den Schulen lernen die Kinder mit<br />

Plapperversen, daß den großen Eroberern <strong>und</strong> Feldherrn nachzueifern sei. (Ob sich<br />

Brecht wohl beim Niederschreiben erinnerte, wie er selbst zehn Jahre vorher im<br />

Lindberghflug diese Lehrmethode anwandte?)<br />

Der Leichenzug endet vor dem Erbbegräbnis »an der Appischen Straße«. Erleichtert<br />

gehen die pflichtgemäßen Trauergäste auseinander: in die Kneipen, auf die Rennplätze,<br />

zu ihren Alltagsvergnügungen. Aber den Feldherrn erwartet in der Marmorgruft<br />

keineswegs die ewige Ruhe, sondern das Totengericht – vielmehr läßt es ihn warten, der<br />

nie warten gelernt hat.<br />

Im Vorzimmer unter kleinen Leuten steht er, den Prunkhelm unterm Arm. Ein Mütterchen,<br />

das ihrem Urteil mit Sorge, wenn auch nicht ohne Hoffnung entgegensieht, obwohl, wie<br />

sich herausstellen wird, den Richtern »ein Blick auf sie genügt«, belehrt den Trotzigen <strong>und</strong><br />

Ungeduldigen mit Fre<strong>und</strong>lichkeit. Der Selbstsichere wird nachdenklich. Nun ruft ihn gar<br />

das Gericht mit dem Spitznamen, mit dem man ihn sonst in Docks <strong>und</strong> Soldatenkneipen<br />

zu nennen pflegt, <strong>und</strong> sein Protest ist nutzlos, hier gilt allein dieser ärgerliche Name. Auch<br />

stellt sich sogleich heraus, daß sein erbetener Fürsprecher, der große Alexander, nicht in<br />

den »Gefilden der Seligen«, der »Wohlerinnerten«, weilt. Also bleibt dem Angeklagten<br />

nichts, als sich auf einen Fries zu berufen, der seinen Triumph darstellt <strong>und</strong> den man<br />

seinem Sarge nachgetragen hat.<br />

Seine Figuren werden vom Gericht als Zeugen angenommen <strong>und</strong> erhalten Sprache.<br />

Nacheinander treten vor: ein König, in unaufhaltsamem Blitzkrieg überw<strong>und</strong>en, seine<br />

junge Königin, die mit Worten voll jungfräulich-zarter Lyrik ihre <strong>und</strong> ihrer Mägde<br />

Notzüchtigung umschreibt, ferner – in Gestalt zweier Mädchen – die Städte, die der<br />

Gewaltige brandschatzte, <strong>und</strong> schließlich die Sklaven, die – »einst Menschen« –<br />

zusammen mit ihrem Gott, der aus Gold war, verschleppt wurden. Nach einer<br />

83

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!