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Das Hörspiel. Dramaturgie und Geschichte - Mediaculture online

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durch Chiffren <strong>und</strong> Zeichen abgekürzt werden.« Und ferner: »<strong>Das</strong> abstrakte Denken des<br />

Menschen, die jetzige Bildlosigkeit der Welt ist nicht mehr zu umgehen. Die Welt wird ein<br />

ungeheurer technischer Raum werden oder untergehen. <strong>Das</strong> Kollektive wird wachsen,<br />

aber seine geistige Bedeutung einschrumpfen. Die Chance liegt allein noch beim<br />

Einzelnen. Der Einzelne hat die Welt zu bestehen. Von ihm aus ist alles wieder zu<br />

gewinnen. Nur von ihm, das ist seine grausame Einschränkung.«<br />

Den Dramatiker Dürrenmatt trennt vom Lyriker Eich viel, während den Protestanten<br />

Dürrenmatt mancherlei mit Eich verbindet: an diesem Punkt sind beide einig.<br />

Erstaunlicherweise ist es Dürrenmatt, der bei der Beschreibung dichterischen Tuns im<br />

gleichen Zusammenhang die Worte vom »Neuschaffen« <strong>und</strong> vom »Aufstellen von<br />

Eigenwelten« gebraucht. Aber obwohl er vom »Unmittelbaren« der Sprache redet <strong>und</strong><br />

vom »Einzelnen«, der allein gelassen ist, schreibt er vor allem fürs Theater, wo er<br />

keineswegs unmittelbar spricht, sondern vermittelt durch ein fremdes Leibhaftiges, <strong>und</strong><br />

nicht zu Einzelnen, sondern zu einem trotz seiner Zufälligkeit kompakten Publikum.<br />

Darum kann er seinen »Eigenwelten« (für die er bezeichnenderweise als Beispiel<br />

Gullivers Reisen anführt) noch immer eine große Distanz von der persönlich erlittenen<br />

Wirklichkeit geben, die Distanz des Humors, <strong>und</strong> er kann (<strong>und</strong> will es, wie er gesteht)<br />

seine Zuschauer erst eine Weile durch Scherze täuschen, ehe er sie erschreckt.<br />

Der Lyriker <strong>und</strong> der <strong>Hörspiel</strong>dichter sind dagegen wirklich »unmittelbar«. Sie sprechen als<br />

Einzelne zum Einzelnen im allerengsten <strong>und</strong> privatesten Beisammensein, wo nicht<br />

verfremdet, sondern das Gegenteil davon getan wird: vertraut gemacht. Daher die<br />

Vorherrschaft von Melancholie <strong>und</strong> existentiellem Ernst. Daher auch die Vorherrschaft<br />

jener nur in dieser Intimität glaubhaften Thematik: Erfahrung durch experimentelle<br />

Variationen des individuellen Lebens, durch Austausch von Zeitabläufen, durch<br />

Konfrontation mit dem Tode, durch Hineinschlüpfen in andere Wesen <strong>und</strong> Schicksale –<br />

Gewissensbefragung <strong>und</strong> Selbsterprobung am fiktiven Modell.<br />

Die wirklichkeitenthüllende Funktion der Sprache hat dabei etwas Nüchternes,<br />

Entillusionierendes – <strong>und</strong> etwas Geheimnisvolles zugleich. Nüchtern <strong>und</strong> illusionslos<br />

insofern, als es keine Lösungen, sondern nur ein Fortschreiten in immer schrilleren<br />

Dissonanzen gibt, ohne daß dies kaschiert oder überspielt wird. Geheimnisvoll insofern,<br />

als das Fortschreiten in Dissonanzen, das Aufbrechen des bitteren Kerns, das nüchterne<br />

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