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Das Hörspiel. Dramaturgie und Geschichte - Mediaculture online

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eigentliche Höhepunkt erreicht wird. <strong>Das</strong> Theater hat eine viel größere Steigerung als das<br />

<strong>Hörspiel</strong>.« Und entsprechend: »Die Handlung ist der Tiegel, in welchem der Mensch Wort<br />

wird, Wort werden muß. <strong>Das</strong> heißt, daß ich den Menschen im Drama in Situationen<br />

bringe, die ihn zum Reden zwingen.« <strong>Das</strong> Reden kann sich dann natürlich nur in einem<br />

gleichsam vorgegebenen realen, psychologischen <strong>und</strong> sittlichen Raum vollziehen.<br />

Hans Bänziger weist mit Recht darauf hin, daß der Dürrenmatt-Satz »Die verlorene<br />

Weltordnung wird in ihrer Brust« (in der Brust der dramatischen Personen)<br />

»wiederhergestellt« genau wörtlich auch bei Schiller stehen könnte. ∗<br />

Ohne vorerst auf die unverkennbare Disqualifikation der Lyrik <strong>und</strong> des <strong>Hörspiel</strong>s durch<br />

den Dramatiker Dürrenmatt einzugehen: genauer kann man die dramatische Sprache im<br />

Unterschied zur lyrischen nicht beschreiben als durch die Feststellung, daß sie aus dem<br />

Gedanken, aus der Handlung, aus der Situation erwächst, die ihre Voraussetzungen sind.<br />

In der lyrisch-magischen Sprache dagegen kann nichts früher als das Wort, nichts vor<br />

dem Wort sein: das Wort ist Ort <strong>und</strong> Ursprung von allem, von Bildern, Gestalten,<br />

Handlungsvorgängen <strong>und</strong> Gedanken, es hat die gesamte Welt, die es weckt, in sich.<br />

Ich möchte nicht mißverstanden werden, es geht mir nicht um Zauberei, nicht um eine<br />

Sprachmystik, bei der das Wort auf sich allein, auf seine bloße Materialität außerhalb aller<br />

komplexen Bedeutungs- <strong>und</strong> Verweisungszusammenhänge gestellt wird, wie etwa bei<br />

dem Lyriker Franz Mon. »Jedes Wort«, sagt Wilhelm Lehmann, »ist nur Schall, bevor ein<br />

Zusammenhang ihm seinen Zufall nimmt <strong>und</strong> ihm ein geistiges Wesen gibt.« Verwendet<br />

man das Wort als isolierten Schall <strong>und</strong> mysteriöse Chiffre, wird es zum genauen Gegenteil<br />

dessen, was hier gemeint ist, zum Spielzeug für gelangweilte Sonderlinge, <strong>und</strong> wird<br />

gerade seiner schöpferischen Kraft beraubt. Andererseits schafft die Sprache, indem sie<br />

aus sich selbst schafft, auch nicht aus dem Nichts; wieviel äußere Wirklichkeit sie<br />

aufgesogen hat, wie welthaltig sie ist, das kann nur von Fall zu Fall untersucht werden,<br />

bei Wilhelm Lehmann ist sie welthaltiger als bei Gottfried Benn: darauf kommt es bei der<br />

Unterscheidung zwischen ihrem dramatischen <strong>und</strong> lyrischen Gebrauch aber wohl nicht an.<br />

Was es zu unterscheiden gilt, entspricht – mutatis mutandis <strong>und</strong> in einem andern<br />

∗ Übelohe erklärt in der Ehe des Herrn Mississippi, daß es dem Dichter darum gehe, »zu untersuchen, was<br />

sich beim Zusammenprall bestimmter Ideen mit Menschen ereignet, die diese Ideen wirklich ernst<br />

nehmen <strong>und</strong> mit kühner Energie, mit rasender Tollheit <strong>und</strong> mit einer unerschöpflichen Gier nach<br />

Vollkommenheit zu verwirklichen trachten... ob der Geist – in irgendeiner Form – imstande sei, eine Welt<br />

zu verändern, die nur existiert, die keine Idee besitzt, ob die Welt als Stoff unverbesserlich sei«.<br />

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