08.10.2013 Aufrufe

Das Hörspiel. Dramaturgie und Geschichte - Mediaculture online

Das Hörspiel. Dramaturgie und Geschichte - Mediaculture online

Das Hörspiel. Dramaturgie und Geschichte - Mediaculture online

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

eingeflossen ist. Man kann von kaum einer anderen Kunstform mit gleicher Berechtigung<br />

sagen, daß etwa jedes zweite Werk Aktualität repräsentiert. Wie erklärt sich das?<br />

Ich könnte mich hier mit der Wiederholung des Hinweises begnügen, daß es im Spiel aus<br />

unsichtbaren Stimmen keine Kostümstücke, keine Historie gibt <strong>und</strong> daß deshalb alles<br />

Gegenwärtige von selbst in den Vordergr<strong>und</strong> tritt. Doch wäre ja auch Zeitlosigkeit <strong>und</strong><br />

Gleichgültigkeit gegenüber den Problemen der Gegenwart denkbar, <strong>und</strong> so genügt die<br />

Begründung nicht. Der publizistische Charakter des Instruments, der zur<br />

Auseinandersetzung drängt, trägt sein Teil bei. Und noch mehr die Absurdität unserer Zeit<br />

selber, die überall, gerade auch in ihren allerkompaktesten Realitäten, unwirklich<br />

erscheint.<br />

Mut zu Satire <strong>und</strong> Absurdität sind die beiden wichtigsten Komponenten, die heute zur<br />

künstlerischen Bewältigung der Zeit nötig sind. Im <strong>Hörspiel</strong> ist Satire auch ohne Absurdität<br />

möglich, doch kaum Absurdität ohne Satire. Alles Absurde nämlich braucht das Optische<br />

<strong>und</strong> das Mimische, will äußerlich demonstriert werden, weil es außerhalb innerer Bezüge<br />

lebt <strong>und</strong> gerade die Abwesenheit von Sinnzusammenhängen ausdrücken will. Dagegen ist<br />

Satire ein ganz dialektischer Vorgang, ist, wie Schiller sagt, »Widerspruch der Wirklichkeit<br />

mit dem Ideale«, <strong>und</strong> so findet sie also im Spiel der Stimmen angemessene<br />

Ausdrucksmöglichkeiten.<br />

1952, ein Jahr nach den Träumen, erschien Wolfgang Hildesheimers viel zu wenig<br />

beachtetes Erzählbändchen Lieblose Legenden. Es kam im Buchhandel bis vor kurzem<br />

kaum zur Geltung, hat aber für Hildesheimers spätere Arbeiten eine ähnliche Bedeutung<br />

wie für Max Frisch die Tagebücher; fast alle seine Stoffe tauchen hier zum erstenmal auf.<br />

Gleichfalls 1952 reichte Hildesheimer in Hamburg sein erstes <strong>Hörspiel</strong> ein, <strong>Das</strong> Ende<br />

kommt nie, das zu Unrecht neben seinen späteren Arbeiten ganz in Vergessenheit geriet.<br />

Es zeigt, wie alles, was damals bei uns von den jüngeren geschrieben wurde, starken<br />

Kafka-Einfluß. Die w<strong>und</strong>erlichen Bewohner eines Hauses mit seltsamen Beziehungen<br />

untereinander warten auf den Vollzug des längst übermittelten Räumungsbefehls, doch<br />

niemand vollzieht ihn. »Keine wirkliche Veränderung kommt plötzlich. Sie kommt<br />

allmählich. Wir merken es kaum. Uns scheint, als ob alles so bliebe, wie es ist.«<br />

Etwa zehn, bisher in keiner Sammlung zusammengefaßte <strong>Hörspiel</strong>e folgten seitdem. Aber<br />

Hildesheimer hat sich, zuerst mit der Bühnenbearbeitung seines von den Kriegsblinden<br />

306

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!