08.10.2013 Aufrufe

Das Hörspiel. Dramaturgie und Geschichte - Mediaculture online

Das Hörspiel. Dramaturgie und Geschichte - Mediaculture online

Das Hörspiel. Dramaturgie und Geschichte - Mediaculture online

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Hier scheint ein unlösbarer Widerspruch zu klaffen; er wäre freilich noch unlösbarer, hätte<br />

Borchert ihn nicht selber gespürt – das beweist die zitierte Briefstelle, die nur apologetisch<br />

verstanden werden kann. Man argumentiere nicht, Borchert sei doch Schauspieler<br />

gewesen. Er hatte in Wahrheit noch kaum Theatererfahrung, war fast nur im Kabarett<br />

aufgetreten, das bekanntlich wesentlich mehr von literarischer als von theatralischer Natur<br />

ist. Nun hatte man ihm gegenüber offensichtlich Bedenken über die Aufführbarkeit seines<br />

Stücks auf dem Theater geäußert. Und deshalb versuchte er also, nachdem er zwar die<br />

<strong>Hörspiel</strong>sendung nicht gehört, aber ihren ungeheueren Publikumserfolg inzwischen zur<br />

Kenntnis genommen hatte, die Bühnenfähigkeit seines Werks zu verteidigen, das sich als<br />

<strong>Hörspiel</strong> erwiesen hatte.<br />

Wahrscheinlich hat Bernhard Meyer-Marwitz recht, der folgendermaßen schreibt:<br />

»Als er an diesem Stück arbeitete, dachte er nicht daran, daß es jemals aufgeführt werden<br />

könnte. Er dachte vor allem nicht an das Theater im landläufigen Sinne. Man darf ihm deshalb<br />

nicht vorwerfen, er habe sich allzu willkürlich über die Gesetze der Bühnendichtung<br />

hinweggesetzt. Er schrieb dieses Stück unbeeinflußt von jeder herkömmlichen Vorstellung... in<br />

ihm verdichten sich die Stimmen von Millionen, von Toten <strong>und</strong> Lebenden, von vorgestern,<br />

gestern, heute <strong>und</strong> morgen, zur Anklage <strong>und</strong> Mahnung. <strong>Das</strong> Leid dieser Millionen wird Schrei.<br />

<strong>Das</strong> ist Borcherts Stück – Schrei! Nicht mehr <strong>und</strong> nicht weniger. Nur so kann es begriffen <strong>und</strong><br />

gewertet werden.«<br />

Damit ist nun zwar erklärt, warum Draußen vor der Tür nicht Theater war. Warum es aber<br />

<strong>Hörspiel</strong> wurde? Gewiß, Borchert vernahm Stimmen, er schrie, immer sind es akustische<br />

Begriffe, mit denen man seinen schöpferischen Impuls beschreibt. Aber ist es denn<br />

selbstverständlich, daß heute ein junger Dichter, wenn er szenisch konzipiert, ohne dabei<br />

an das Theater zu denken (da ihn ja doch »kein Theater spielen, kein Publikum sehen<br />

will«) – daß er dann sozusagen unbewußt <strong>und</strong> automatisch die Formbedingungen des<br />

<strong>Hörspiel</strong>s erfüllt?<br />

Es scheint so zu sein, <strong>und</strong> gerade darum ist die Borchert-Erfahrung so interessant. Es<br />

scheint, als ob wir in einer Zeit leben, in der sich das Wort von der Realität <strong>und</strong> vom<br />

Mimus lösen will, um seine eigene Wirklichkeit, klingende, tönende Verwirklichung zu<br />

suchen.<br />

Nun kann man natürlich die Textfassungen vergleichen, die mit Borchert selbst erarbeitet<br />

worden sind: das vervielfältigte <strong>Hörspiel</strong>manuskript des Nordwestdeutschen R<strong>und</strong>funks,<br />

das Ludwig Cremer fast ohne weitere Striche inszeniert hat, <strong>und</strong> das zwischen<br />

222

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!