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Das Hörspiel. Dramaturgie und Geschichte - Mediaculture online

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Befehlstextes, auf Machtaxiom <strong>und</strong> dessen Legitimierung durch gesteuertes Massenecho.<br />

Schema: das Gute (der Mensch, verb<strong>und</strong>en mit der überw<strong>und</strong>enen Natur, der Technik)<br />

kämpft mit kindlichem Optimismus, mit ideologischer Gläubigkeit, gegen das am Ende<br />

doch ohnmächtige Böse (Elemente, Hunger, soziale Ungleichheit, nicht domestizierte<br />

Natur, Gott). <strong>Das</strong> Hören <strong>und</strong> Antworten geschieht nicht mehr liturgisch, sondern<br />

mechanisch. Nicht mehr freie exponierte Individuen stehen sich distanziert gegenüber,<br />

sondern der Mensch als gelenktes Kollektiv redet gegen Chaos <strong>und</strong> elementares Unheil,<br />

gegen den dämonischen, unhumanisierten Gott an. Zwischen Philipp <strong>und</strong> Posa wurde<br />

damit amtlich entschieden, die französische Revolution stand noch auf der Seite Posas,<br />

die Machthaber der russischen stehen, obwohl sie z. T. noch die Terminologie Posas<br />

anwenden, eindeutig auf der Seite Philipps. Schiller aber war klüger als beide. Er wußte<br />

von der unauflösbaren Spannung <strong>und</strong> verlangte von seinen Hörern nicht die<br />

unmenschliche Albernheit, bei einer der beiden Rollen die Kernsätze kollektiv<br />

mitzuplappern. –<br />

<strong>Das</strong> <strong>Hörspiel</strong> ist – wie die heutige Lyrik – eine sprachlich sehr extreme Möglichkeit,<br />

extrem modern, extrem »westlich«. <strong>Das</strong> macht wahrscheinlich seine Bedeutung für uns<br />

aus <strong>und</strong> bewirkt, daß es gerade auch im Zeitalter des Fernsehens, eines (am R<strong>und</strong>funk<br />

gemessen) kollektiven Instruments, unentbehrlich ist. Unentbehrlich vielleicht nicht für die<br />

hörende Masse, sondern für das Experiment <strong>und</strong> für die literarische, formgeschichtliche,<br />

geistesgeschichtliche Entwicklung. Etwa so, wie die Neue Musik unentbehrlich ist.<br />

Extrem »westlich«: es ist noch immer viel zu wenig bekannt, daß es ein nazistisches<br />

<strong>Hörspiel</strong> nicht gab <strong>und</strong> wohl auch nicht geben konnte, daß es ein kommunistisches nicht<br />

gibt. Als der Berliner R<strong>und</strong>funk kurz vor Kriegsausbruch noch einmal eine Konferenz von<br />

jungen Autoren zu Besprechungen über das <strong>Hörspiel</strong> einlud, erschien, wie Zeugen<br />

berichten, Goebbels <strong>und</strong> empfahl mit der ihm eigenen Nachdrücklichkeit, statt solchen<br />

Unfugs Filmdrehbücher zu schreiben. Dabei war in den Jahren nach 1936/37 das <strong>Hörspiel</strong><br />

in den deutschen R<strong>und</strong>funkprogrammen sowieso nicht mehr existent: es gab weder<br />

nennenswerte Titel, noch Autoren, noch Ereignisse, kaum mehr Restbestände. Von einer<br />

russischen <strong>Hörspiel</strong>literatur aber hat noch niemand etwas gehört. Selbst im gefügigen<br />

SED-Staat ist meines Wissens noch nie eine R<strong>und</strong>funkdichtung aus Rußland importiert<br />

worden – erstaunlich, wenn man den Umfang dessen ermißt, was literarisch, an Filmen<br />

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