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Das Hörspiel. Dramaturgie und Geschichte - Mediaculture online

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Zusammenhang – eher dem, was bei der berühmten Marburger Auseinandersetzung<br />

zwischen Luther <strong>und</strong> Zwingli über das Sein <strong>und</strong> Bedeuten zur Debatte stand. Es geht<br />

darum, ob, wie dort die Substanz des Sakraments, so hier das Wort seine Dignität nur<br />

durch den Hinweischarakter auf ein anderes Sein empfängt, das es bloß bezeichnet, oder<br />

ob das, was es meint, aus ihm entspringt, weil es in ihm ist. Es geht um die anschauliche<br />

Einheit der Welt, die aus lyrischer Sprache entsteht, <strong>und</strong> die nicht, wie die dramatische,<br />

eine Neigung zur Ideologie hat.<br />

Auch die Möglichkeiten des <strong>Hörspiel</strong>s, der Kunstform, die der R<strong>und</strong>funk nicht in seiner<br />

Eigenschaft als reproduktives, sondern als produktives Instrument hervorbringt, beruhen<br />

auf der schöpferischen Einheit der Welt aus Sprache. Wenn man im R<strong>und</strong>funk ein<br />

klassisches Drama, ein dramatisches Gegenüber wie zwischen Posa <strong>und</strong> Philipp<br />

überträgt, so vermißt man die Leibhaftigkeit, weil der Gegenüberstellung von Ideen die<br />

Gegenüberstellung leibhaftiger Figuren entspricht. Auch das Gegenüber etwa von Ill <strong>und</strong><br />

den Leuten aus Güllen in Dürrenmatts Besuch der alten Dame kann sich nie vollständig in<br />

Sprache ausdrücken, es bedarf der Repräsentation im Raum der Bühne. Bei bloß<br />

akustischer Darstellung ergibt sich vermindertes Theater. Wirkliche <strong>Hörspiel</strong>e dagegen<br />

brauchen keine leibhaftig gegenwärtigen Darsteller. Ins <strong>Hörspiel</strong> kommt, obwohl es eine<br />

darstellende Kunst ist, durch die Darstellung keine kompakte leibhaftige Wirklichkeit (wie<br />

bei Theater, Film, Fernsehen) hinein.<br />

Ein Zitat aus Ionesco spricht von dieser Mischung aus kompakter Wirklichkeit <strong>und</strong><br />

imaginativer Welt durch die Darstellung: »Wenn ich sah, wie sich die Schauspieler auf der<br />

Bühne ganz mit den handelnden Personen identifizierten, zum Beispiel Tränen weinten,<br />

so fand ich das unerträglich <strong>und</strong> ausgesprochen unanständig ... <strong>Das</strong> Erf<strong>und</strong>ene war mit<br />

fremden Elementen vermischt, also war es nur eine unvollkommene Erfindung, ja ein<br />

Rohstoff, der eine unerläßliche Verwandlung, eine Veränderung nicht durchgemacht<br />

hatte... Wenn ich dann im Gegensatz dazu den Schauspieler seine Rolle zu sehr<br />

beherrschen sah, außerhalb seiner Figur stehend, sich von ihr trennend, wie das Diderot<br />

oder Jouvet wollten, oder gemäß den Verfremdungstheorien Brechts – welche<br />

keineswegs revolutionär sind –, dann mißfiel mir das ebenso. Auch das erschien mir eine<br />

unannehmbare Mischung von wahr <strong>und</strong> falsch zu sein, denn ich empfand ein Bedürfnis<br />

für diese notwendige Verwandlung des (im engeren Sinne) Wirklichen in Einbildung.«<br />

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