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Das Hörspiel. Dramaturgie und Geschichte - Mediaculture online

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begreiflicherweise – bei der Übersetzung in die optische Dimension stören ∗ , begeht er nicht nur<br />

eine Sünde wider den Geist von Borcherts Dichtung, sondern verübt auch einen Anschlag auf<br />

die Form des Werks, <strong>und</strong> zwar insofern, als er dessen innere Maße zunichte macht. <strong>Das</strong><br />

Ergebnis ist eine vordergründige Reportage, wie sie der Autor nicht gemeint hat. Und damit wird<br />

dann freilich auch das allzu Zeitgeb<strong>und</strong>ene des Stücks auf eine ungünstige Weise<br />

verabsolutiert. Der Hörer am Lautsprecher aber, der den erwähnten Innenraum stärker erfährt<br />

als der Theaterbesucher, wird eher eine Ahnung davon erhalten, daß Borcherts Dichtung kein<br />

überlebtes Zeitdokument ist. Sie behauptet ihren Charakter <strong>und</strong> ihre Wahrheit nicht so sehr aus<br />

dem »noch immer« wie aus dem »schon wieder«. Gewiß sind noch immer nicht alle Häuser<br />

aufgebaut, noch immer nicht alle Toten vergessen, noch immer nicht alle Tränen zu Ende<br />

geweint, aber schrecklicher ist, daß schon wieder die Uhrwerkzünder in den Bomben eingestellt<br />

sind <strong>und</strong> daß schon wieder Geheiminformationen über Planquadratzahlen um die Welt laufen.«<br />

Dem wäre nicht das geringste hinzuzufügen; alle diejenigen, die mit dem R<strong>und</strong>funk <strong>und</strong><br />

mit <strong>Hörspiel</strong>en zu tun haben, sind sich darüber einig. Auch jene, die das Manuskript des<br />

Borchertstückes damals aus den Händen des Dichters entgegennahmen, vor allem Ernst<br />

Schnabel, meinen, daß es formal schlechterdings nur als <strong>Hörspiel</strong> verstanden werden<br />

könne. Schnabel aber wäre ein beachtlicher Kronzeuge: er hat an Borcherts Krankenbett<br />

gemeinsam mit dem Dichter am Text gebessert, er hat, da ihm der ursprüngliche Titel Ein<br />

Mann kommt nach Deutschland nicht gefiel <strong>und</strong> der Arbeitstitel Einer von denen unter<br />

keinen Umständen bleiben konnte, zusammen mit seinem Bruder Günther – <strong>und</strong> diesmal<br />

ohne den Dichter – am Abend vor der Sendung eigenmächtig den Titel Draußen vor der<br />

Tür bestimmt, er bezeugt auch, welche Mühe Wolfgang Liebeneiner, vom <strong>Hörspiel</strong>text<br />

ausgehend, noch für die Theaterversion der Uraufführung in den »Hamburger<br />

Kammerspielen« aufgewandt hat. Aber was hilft all das?<br />

Wolfgang Borcherts Mutter <strong>und</strong> die Hamburger R<strong>und</strong>funklektorin Ruth Malchow, die<br />

Borcherts Manuskript damals zu Schnabel brachte, beteuern mit Bestimmtheit, daß<br />

Borchert bei der Niederschrift an ein Bühnenstück gedacht habe. Peter Rühmkorf aber, in<br />

seiner ausgezeichneten Borchert-Biographie in den Rowohlt-Monographien, zitiert einen<br />

Brief des Autors vom 23. März 1947, in dem von der »Originalfassung« gesprochen wird:<br />

»... denn Ihr Exemplar ist von mir selbst für den Funk bearbeitet worden, das Original ist<br />

etwa 20 Seiten stärker. Allerdings ist die unmittelbare Aufeinanderfolge der Szenen<br />

dieselbe, <strong>und</strong> das Ganze muß ohne Pause durchgespielt werden. Den schnellen<br />

Szenenwechsel, der Beckmann immer plötzlich allein auf der Straße stehen läßt, den<br />

kann man durch Licht <strong>und</strong> Schattenwirkung sehr gut herausholen. Natürlich darf es kein<br />

Bühnenbild geben, <strong>und</strong> es dürfen immer nur die jeweiligen Möbel auf der Bühne stehen.«<br />

∗ Prager bezieht sich hier auf die an sich glänzende Fernsehinszenierung Rudolf Noeltes, die das Stück<br />

zusammenstrich, um möglichst viel griffige Realität zu gewinnen.<br />

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