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Das Hörspiel. Dramaturgie und Geschichte - Mediaculture online

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herauskam. Die Auseinandersetzung erregte beträchtliches Aufsehen. Es entstand die<br />

zweite Fassung, <strong>und</strong> daneben entstanden noch zwei weitere Varianten, die im Anschluß<br />

an die zweite Fassung im Versuche-Heft abgedruckt sind. Bei den Varianten handelt es<br />

sich einmal darum, daß (aus unbekannten Gründen, vielleicht auf Wunsch des<br />

Komponisten) die Figuren des Frieses nicht mehr aus dem Fries heraus reden, sondern<br />

herbeigerufen werden aus den Scharen der Toten. Allerdings dünsten auch hier schon<br />

moralisierende Textstellen wie<br />

»O seht doch, so bauen sie sich selbst ein Denkmal ...«<br />

die Atmosphäre östlichen politischen Pharisäertums aus. Doch die zweite Variante, die<br />

Brecht nach der Probeaufführung vor dem »Ministerium für Volksbildung« einfügte, ist<br />

noch peinlicher: sie tritt aus purer Angst <strong>und</strong> aus byzantinischem Eifer eine im<br />

Zusammenhang gänzlich nebensächliche Angelegenheit breit. Pedantisch wird erklärt,<br />

daß der von Lukullus besiegte König kein »imperialistischer Kriegshetzer« war, daß er mit<br />

Recht bei den Seligen weilt, daß sich angesichts seiner Leistung für die vaterländische<br />

Verteidigung selbst das Gericht der Unterwelt von den Sitzen erhebt.<br />

Am schrecklichsten ist die Änderung des Schlusses. Sie ist eine Tat der Zerstörung, die<br />

gr<strong>und</strong>los geschieht – es sei denn, man sehe ideologische Direktheit <strong>und</strong> Selbstsicherheit<br />

als hinreichenden Gr<strong>und</strong> an. Für uns ist der Vorgang vor allem deshalb interessant, weil<br />

er zeigt, wie groß die innere Freiheit Brechts 1939 war, als er außerhalb des östlichen<br />

Machtbereichs mit der ersten Fassung des Lukullus ein wirkliches <strong>Hörspiel</strong> schrieb. Denn<br />

nicht nur die Schönheit, sondern auch die typologische Bedeutung dieses Werks ist darin<br />

begründet, daß in ihm als einem der ersten geschieht, was später für fast alle<br />

belangvollen Stücke der Gattung <strong>Hörspiel</strong> zum Kennzeichen wurde: der Ort, an dem sie<br />

spielen, liegt nirgendwo anders als im Gewissen des Hörers.<br />

Es ist wohl kein Zweifel, daß sowohl Brecht als auch seine Schöffen sich verpflichtet<br />

gefühlt hätten, den Angeklagten zu verurteilen, ließe der Dichter sich <strong>und</strong> ihnen die Zeit,<br />

»zu Ende zu sprechen«. Die abschließenden Worte des Richters in der ersten Fassung<br />

zeigen das, obwohl der Hinweis, daß sich als Entlastungszeugen gerade kleine fanden,<br />

schwer wiegt: Brecht liebt die Kleinen. Dennoch, er wollte Lukullus verurteilen. Aber wozu<br />

die Trivialität eines »ewigen« Richtspruchs, den ein Mensch <strong>und</strong> von Menschen erdichtete<br />

Figuren mit der Pose göttlicher Vollmacht erfüllen? Verglichen mit dem Geschmack des<br />

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