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Das Hörspiel. Dramaturgie und Geschichte - Mediaculture online

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Wäre die traurige Selbstsicherheit von Anfang an in dem <strong>Hörspiel</strong>, wären die Gesetze,<br />

nach denen im Totenreich gerichtet wird, wirklich so simpel <strong>und</strong> Brecht <strong>und</strong> allen Adepten<br />

des Leninismus so bekannt, wie der staatlich genehmigte Richtspruch glauben machen<br />

möchte, wozu dann das Stück? Wozu das Palaver des Gerichts? <strong>Das</strong> Ganze wäre nur<br />

etwas wie ein Schauprozeß – so überflüssig <strong>und</strong> so langweilig. Oder es wäre<br />

Schulmeisterei wie der Lindberghflug, sieht man ihn aus der Perspektive seines<br />

Nachworts. Eine Dichtung aber <strong>und</strong> ein <strong>Hörspiel</strong> wird es erst dadurch, daß es vor dem<br />

Urteil des Totengerichts, von dem Brecht so wenig weiß wie wir alle, verstummt: kein<br />

Kommentar, weder ein guter noch ein böser. Aus der Möglichkeit der Gnade lebt dieses<br />

Stück <strong>und</strong> lebt die Anteilnahme des Hörers an ihm, aber beide leben gut davon. Denn<br />

Brecht ist ein Dichter, <strong>und</strong> seine Rechte weiß zum Glück beim Schreiben gelegentlich<br />

nicht, was die Linke tut. Ebenso wie sein Herz oft nichts davon weiß, wenn sein Hirn<br />

nachträglich die lebendige Humanität herausfordernd als dialektischen Stechschritt<br />

interpretiert.<br />

Schon beim Lindberghflug war deutlich, daß Brechts <strong>Hörspiel</strong>stil von der Ballade ausgeht.<br />

Um nicht zu wiederholen, was über den Zusammenhang der alten, konservativen<br />

Kunstform des »Mysteriosen« (Goethe) mit der neuen balladesken Form bereits gesagt<br />

ist, sei durch ein fremdes Wort daran erinnert. Auch Otto Rombach hat von der Ballade<br />

her den Zugang zu den neuen literarischen Möglichkeiten des R<strong>und</strong>funks gesucht. Titel:<br />

Räuberhauptmann Cocosch (wohl 1931), Kaukasische Ballade (1931) <strong>und</strong> Die Chronik<br />

des Pizarro (1932), Ursendungen in Leipzig. Der Weg ist legal, wenn auch gewiß nicht der<br />

einzige. Rombach schreibt über die Balladenform:<br />

»Aus ihrer rhythmischen, motorischen Geballtheit ergibt sich ganz von selbst die Szene. Als<br />

Berichtform, die nicht gereimt sein muß, erlaubt sie es, Zeit <strong>und</strong> Handlungsort, Personen <strong>und</strong><br />

Erscheinungen zu nennen, ohne eine künstlerische Form zu sprengen. <strong>Das</strong> episch zu<br />

berichtende Begebnis kann wiederum zur Dramatik wachsen, wenn aus der Schilderung der<br />

Dialog herausbirst <strong>und</strong> sie dadurch szenisch wird. « (Rufer <strong>und</strong> Hörer, Jahrgang 1/10.)<br />

Rombach verwendet in seinem Bekenntnis zur balladesken <strong>Hörspiel</strong>form höchst<br />

dramatische Begriffe. Inzwischen hat sich längst herausgestellt, daß gerade die<br />

»Geballtheit«, das »Sprengen« <strong>und</strong> »Bersten«, das Quasi-Dramatische, trotz aller<br />

sonstigen Verwandtschaft der Ballade mit dem <strong>Hörspiel</strong>, die beiden Gattungen<br />

unterscheidet.<br />

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