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Das Hörspiel. Dramaturgie und Geschichte - Mediaculture online

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mutet fast wie ein Gogol-Einfall an. Ein Reisender entdeckt unzweideutig am Fuße seines<br />

Abteilgenossen den Pferdehuf, möchte die Gelegenheit nutzen, den Teufel <strong>und</strong> das Böse<br />

ein für allemal aus der Welt zu schaffen, stößt aber mit seinem Wunsch, den Kerl zu<br />

verhaften, bei Behörden auf organisatorische, beim Pfarrer auf Glaubens-Schwierigkeiten.<br />

Wichtiger noch ist für die Erkenntnis dessen, was Unterhaltung im <strong>Hörspiel</strong> bedeutet, die<br />

zweite gemeinsame Arbeit der beiden Autoren: Vater braucht eine Frau (1952). Hier ist ein<br />

erhellender Vergleich möglich mit dem später aus dem Stoff entwickelten Drehbuch, für<br />

das leichtsinnigerweise der sonst so seriöse Harald Braun die Verantwortung auf sich<br />

nahm. In einer kinderreichen, mutterlosen Familie, die infolge Hausangestelltenmangels<br />

keine rettende Hilfe findet, beschließen die Kinder – zwischen fünfzehn <strong>und</strong> sechs –, den<br />

Witwer-Vater, ohne ihn erst lange zu fragen (da er sich sonst sträuben würde),<br />

wiederzuverheiraten. Eine von ihnen aufgegebene Heiratsannonce <strong>und</strong> die Prüfung der<br />

Bewerberinnen im Kinderzimmer führen tatsächlich dazu, daß sie eine liebenswürdige<br />

junge Person finden, auf die sich der überraschte Vater nach anfänglichem Sträuben<br />

einläßt. So im <strong>Hörspiel</strong>. Im Film – man mag es kaum glauben – heiratet der Vater nicht die<br />

von den Kindern Erwählte, sondern eine von den aggressiveren Damen mit Sex.<br />

Goethe spricht – gleichsam vorweggreifend – einer solchen Filmmanipulation in dem eben<br />

zitierten Aufsatz das Urteil: »Unter Volk verstehen wir eine ungebildete, bildungsfähige<br />

Menge, die untern Volksklassen, Kinder ... Was bedarf eine solche Menge wohl? Ein<br />

Höheres, aber ihrem Zustand Analoges. Was wirkt auf sie? Der tüchtige Gehalt mehr als<br />

die Form. Was ist an ihr zu bilden wünschenswert? Der Charakter, nicht der Geschmack:<br />

der letzte muß sich aus dem ersten entwickeln.«<br />

Hier ist zugleich auch die Frage nach jenem Minimum an »Aussage« mitbeantwortet,<br />

dessen jeder Unterhaltungsstoff, will er nicht verantwortungslos wirken, unter keinen<br />

Umständen entraten kann <strong>und</strong> auf das der Film längst, das <strong>Hörspiel</strong> nie verzichtet hat. Da<br />

der Geschmack nicht ohne den Charakter gebildet wird, muß bei den<br />

Unterhaltungsproduktionen der sogenannten Massenmedien unbedingt jenes Quentchen<br />

an einfacher, meinethalben sogar einfältiger Gesittung erhalten bleiben. <strong>Das</strong> hat nichts<br />

mit Moralin <strong>und</strong> nicht einmal etwas mit so lehrhafter Moral wie in Grimmelshausens oder<br />

Hebels Kalendergeschichten zu tun, die doch große Kunst sind. Auch mit dem Happy-End<br />

um jeden Preis oder mit der Entscheidung zwischen Wahrhaftigkeit <strong>und</strong> Unwahrhaftigkeit<br />

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