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Das Hörspiel. Dramaturgie und Geschichte - Mediaculture online

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ihnen ergibt die wesentlichsten Reize. Was aber das Didaktische betrifft, das uns hier<br />

besonders interessieren muß, so habe sich, meint Wirth, im Laufe der künstlerischen<br />

Entwicklung Brechts dessen Funktion wesentlich geändert – vom gehorsamen<br />

»Kommentar der Handlung vom Standpunkt des Kollektivs, der keine Assoziationen außer<br />

vom Dichter beabsichtigte zuläßt«, zu einer keineswegs mehr »einseitig<br />

intellektualistischen Didaktik«, die vorwiegend auf Emotionen abzielt, diesen Emotionen<br />

aber natürlich »eine bestimmte Richtung geben« will.<br />

Dies ist die Komponente, die genauer untersucht werden muß, <strong>und</strong> in der auch die<br />

Unterschiede zwischen der Brechtdramaturgie <strong>und</strong> der <strong>Dramaturgie</strong> des <strong>Hörspiel</strong>s liegen.<br />

Was bedeutet die merkwürdige Aufspaltung der neuerrungenen nichtdramatischen<br />

Möglichkeiten in lyrisch-epische einerseits <strong>und</strong> didaktische andererseits? Die lyrisch-<br />

epischen Möglichkeiten finden sich im <strong>Hörspiel</strong> gleichfalls, die didaktischen fehlen.<br />

Natürlich ist auch die Verfremdungslehre fürs <strong>Hörspiel</strong> ungeeignet: auch sie ist ja bei<br />

Brecht nichts weiter als didaktischer Abstand. Um jener lyrischen Verbreiterungen willen<br />

bedürfte es solchen Abstands nicht.<br />

<strong>Hörspiel</strong> <strong>und</strong> episches Theater stimmen in vielem überein: vor allem darin, daß durch die<br />

Blendmöglichkeit (besonders die zwischen Erzählung <strong>und</strong> Darstellung) jene simple Illusion<br />

im Sinne der bürgerlichen »Einfühlungs«-Ästhetik, die Brecht <strong>und</strong> uns nicht mehr liegt,<br />

vermieden wird. Der Schock des Zeitsprungs läßt uns immer wieder Abstand gewinnen.<br />

Aber während Brecht ein Klima epischen Erzählens auf dem Theater erzeugen will, ist das<br />

Prinzip des <strong>Hörspiel</strong>s: Ausbreitung einer lyrischen Empfindung als (vorwiegend innere)<br />

Handlung, <strong>und</strong> umgekehrt: Ausbreitung einer inneren Handlung als prägnante<br />

Empfindung. Während Brecht die kritische Distanz des Erzählers vom Geschehen braucht<br />

(es geht ihm um »eine inszenierte Erzählung, ihr Gegenstand sind Ereignisse, an denen<br />

der Erzähler nicht teil hatte«), geht das <strong>Hörspiel</strong> (wie die moderne Physik) davon aus, daß<br />

es keine experimentelle Annäherung an die Wirklichkeit mehr gibt, aus der sich das<br />

erlebende Subjekt ausklammern läßt; der Erzähler steht also in der Handlung <strong>und</strong> hat an<br />

ihr teil. Brechts Szenen wollen (wenigstens theoretisch) stets Paradigmata für eine<br />

vermeintliche, alles wirkliche Geschehen beherrschende, verabsolutierbare Wahrheit sein,<br />

während das lyrische Theater, das <strong>Hörspiel</strong> stets die Unzulänglichkeit aller Theorien,<br />

Weltanschauungen <strong>und</strong> Ideologien durch die individuelle, zur Sprachgestalt gewordene<br />

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