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Das Hörspiel. Dramaturgie und Geschichte - Mediaculture online

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»Mein Fenster ist nicht viel größer als der Bildschirm eines Fernsehapparats: zwei Spannen im<br />

Durchmesser, was darin erscheint, ist wie eine Vorführung, nicht wie Wirklichkeit. Auch wenn ich<br />

das Gesicht gegen die Scheibe lehne, um wenigstens den Fensterrand nicht zu sehen, wird es<br />

nicht anders ... <strong>Das</strong> Faszinierende ist dieser unglaubliche Film, der da vor meinem<br />

Fernsehfenster abläuft. Ohne Schnitt von einer Szene zur andern überblendend, <strong>und</strong> er wird<br />

vierzigtausend Kilometer lang sein. Was gespielt wird, spielt dabei gar keine Rolle. Es geschieht<br />

ja doch andauernd etwas <strong>und</strong> immer etwas Unglaubliches.«<br />

Er sitzt vor diesem Fenster auf dem Anstand, um dem aufzulauern, was der grauen<br />

Sek<strong>und</strong>e ein Gesicht gibt. Etwa so: »Plötzlich verwandelt sich das Bullauge in das<br />

Schaufenster eines Juwelierladens. Ungeheure Geschmeide blitzen auf, Agraffen,<br />

Perlenschnüre, Kolliers, ein großer Funkelzauber. Der Reisende griff sich an den Kopf<br />

<strong>und</strong> sagte sich: das muß doch eine Stadt sein, eine Großstadt. Aber hier, in der Wüste,<br />

zwanzig Minuten östlich von Beirut – das ist doch nicht – das kann doch nicht – das kann<br />

doch nur – Damaskus sein ... « Nun aber wird die Minute noch nachträglich zur (in diesem<br />

Fall komischen) Pointe emporgezüchtet, wird zum Erstarren gebracht. Nämlich seine, des<br />

Reisenden, Ergriffenheit blieb nicht ohne Folgen, da er über Damaskus gerade beim<br />

Rasieren war. »Am andern Morgen stutzte die Stewardeß: Darf ich Ihnen etwas ganz<br />

Persönliches sagen, Sir ... ich glaube, Sie haben sich nur auf der linken Seite rasiert, die<br />

rechte Backe ist noch schwarz!«<br />

Aus dem Beispiel wird die Methode dieser Form ganz deutlich: der mechanische, reale<br />

Zeitablauf – <strong>und</strong> darin immer wieder das Greifen nach dem Lebendigen, nach dem<br />

Augenblick. Der häufige Wechsel zwischen Präsens <strong>und</strong> Präteritum ist kennzeichnend für<br />

den immer wiederholten Versuch, das permanente Programm – globale vierzigtausend<br />

Kilometer Film, die ganze irdische Existenz ist gemeint – wenigstens für Augenblicke zum<br />

Stehen zu bringen.<br />

In Schäfers Malmgreen gibt es zwei charakteristische, in der Pointierung gegensätzliche<br />

Stellen: hier (wie im Schnabel-Beispiel) die Ironie des falschen Akzents, der auf die<br />

Sek<strong>und</strong>e gesetzt wird, <strong>und</strong> dort der Augenblick, der – durch das Eindringen tödlicher<br />

Wirklichkeit – eigenes Leben gewinnt. »Haben Sie gehört, meine Herren, was der Kapitän<br />

gesagt hat? In einer St<strong>und</strong>e sind wir über dem Nordpol. In einer St<strong>und</strong>e wird sich ein<br />

sogenannter historischer Augenblick ereignen.« Und dann wird diese Sek<strong>und</strong>e<br />

dramatisiert, wie in der Neujahrsnacht schlechte Radio-Ansager die Sek<strong>und</strong>e des<br />

Jahreswechsels dramatisieren. Sie erscheint auch gleichermaßen albern <strong>und</strong> läppisch:<br />

»Der Kapitän legt die Hand an die Mütze: Meine Herren, der Nordpol!« Bald danach aber,<br />

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