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Das Hörspiel. Dramaturgie und Geschichte - Mediaculture online

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Der Darsteller im <strong>Hörspiel</strong> muß sich das klarmachen. Es gibt in dieser Kunstform, genau<br />

wie im Drama, die Möglichkeit lebendiger Spannungen zwischen den Figuren, ihrem<br />

Denken <strong>und</strong> Wollen. Doch werden diese Spannungen nicht dramatisch-dialektisch<br />

ausgetragen, nicht aktiviert, weil der Eindruck, als ob es um Standpunkte gehe, gar um<br />

solche, von denen der Hörer überzeugt werden soll, gänzlich ungemäß wäre. <strong>Das</strong><br />

<strong>Hörspiel</strong>, auch darin wiederum dem Gedicht ähnlich, soll durch sein Ganzes wirken,<br />

insgesamt zum Gleichnis werden – durch die Summe seiner Konstellationen <strong>und</strong> durch<br />

die ungezwungene, unpathetische Einfachheit aller seiner Vorgänge oder vielmehr<br />

Gebärden, denn eigentliche Handlungen gibt es kaum. Im Drama ist das anders. Im<br />

Drama muß sich die einzelne Gestalt <strong>und</strong> ihr Darsteller normalerweise mit aller<br />

Leidenschaft selbst vertreten – gegen die andern <strong>und</strong> gegen das Publikum. Im <strong>Hörspiel</strong><br />

vertritt alle zusammen der Dichter. Der eigentliche, der wichtigere Dialog findet nicht<br />

innerhalb des Stücks <strong>und</strong> zwischen seinen Figuren statt, sondern zwischen dem Dichter<br />

<strong>und</strong> dem einzelnen Hörer, <strong>und</strong> dabei sind viele Entscheidungen fällig. Zuerst einmal die,<br />

daß sich der Hörer überhaupt mit dem Gleichnis des Dichters konfrontieren läßt, daß er<br />

spürt, wie Gabriele in den Mädchen aus Viterbo: »Ich fürchte mich jetzt vor der <strong>Geschichte</strong><br />

mehr als vor der Gefahr, die uns hier droht. Sie will etwas von mir, diese <strong>Geschichte</strong>. Aber<br />

vielleicht ist auch ein Trost darin.«<br />

Wir wissen aus Umfrageergebnissen, daß in den ersten fünf bis zehn Minuten eines<br />

<strong>Hörspiel</strong>s ein Viertel bis ein Drittel aller Hörer ihr Gerät abschalten. »Teilhörer« nennt die<br />

Hörerforschung die vielen, die sich dem, was »die <strong>Geschichte</strong> von ihnen will«, versagen.<br />

Dem Oberflächlichen mag der Vorgang vielleicht harmlos <strong>und</strong> oberflächlich erscheinen. In<br />

Wirklichkeit aber handelt es sich, in einer Welt, in der ununterbrochen ungezählte<br />

gleichgültige Sensationen die Augen <strong>und</strong> Ohren der Menschen treffen, um etwas<br />

Außerordentliches, wenn sich plötzlich der eine oder andere vom Anruf eines<br />

Wesentlichen treffen läßt, das sich selber ernst nimmt <strong>und</strong> darum ernst genommen<br />

werden muß. Diese erste Entscheidung ist Anfang <strong>und</strong> Modell der Auseinandersetzung,<br />

des »dramatischen« Kampfes, den das <strong>Hörspiel</strong> führt. Es handelt sich ja nicht, wie im<br />

Theater, um ein Publikum, das schon entschlossen ist, sich der Auseinandersetzung<br />

Auge in Auge mit den Darstellern bis zum Schluß zu stellen, sondern es handelt sich um<br />

den Anruf eines unsichtbaren Dichters an einen unsichtbaren, unbekannten Einzelnen.<br />

Darsteller <strong>und</strong> Techniker vermitteln dabei nur, halten sich selbst hinter dem Wort zurück.<br />

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