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Das Hörspiel. Dramaturgie und Geschichte - Mediaculture online

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kann. Literarische Mahnmale dieser unendlichen Qualen, dieser unfaßbaren Bestialitäten<br />

können solche Werke nicht sein. Doch sind die beiden Stücke im Zusammenhang mit<br />

dem jüdischen Schicksal wohl die bedeutendsten Bekenntnisse zur Solidarität, die von<br />

Deutschen geschrieben wurden.<br />

Für das Verständnis der Hoerschelmannschen <strong>Hörspiel</strong>kunst aber ist hier noch etwas<br />

anderes wichtig: dieses »Es« zu sehen, das sozusagen das Gegenspiel in allen seinen<br />

Stücken ist, nur lyrisch begreifbar, szenisch nicht darstellbar. Zwar liegt bei<br />

Hoerschelmann der Gedanke näher als bei Eich, daß man seine <strong>Hörspiel</strong>e auch szenisch<br />

aufführen könnte. Im Fernsehen, wo seelischer Ausdruck nicht über Rampendistanz,<br />

sondern in Großaufnahme an die Zuschauer gelangt, hat Die verschlossene Tür trotz<br />

einer ziemlich mißglückten Inszenierung keine geringe Wirkung gehabt. Und dennoch:<br />

das Entscheidende wird dabei nicht Gestalt. Da ist zwar ein nazistischer Ortsbauernführer<br />

<strong>und</strong> dann auch eine Szene mit dem Sohn, der gegen die Aufnahme des Juden Bedenken<br />

hat, aber beide genügen als Gegenspiel kaum. Müssen sie genügen, wird das Stück<br />

veräußerlicht <strong>und</strong> oberflächlich, nur eine Art dramatischer Reportage. Wichtiger ist das<br />

Gegenspiel des »Es«, das allein im <strong>Hörspiel</strong> wirklich zur Geltung kommt: dann nämlich,<br />

wenn das Wort uns bestimmte unphotographierbare Bilder unendlich viel näher bringt als<br />

jede Großaufnahme. Zum Beispiel, wenn das alte baltische Ehepaar zum ersten Mal allein<br />

durch das beängstigend fremde Haus geht:<br />

»Bei uns hatte das Büffet auch einen Fleck, der nicht wegging. Ich hatte als Junge einmal die<br />

Spiritusflasche umgeworfen. Ein weißer Fleck, der aussah wie ein Ohr. Der hier ist anders – ich<br />

weiß nicht, ob ich mich daran gewöhnen werde. Wer hat hier etwas vergossen? Welcher<br />

Gegenstand hat diesen Kratzer in die Tapete gerissen? Lauter fremde Spuren. Mit dem<br />

schlechten Geschmack meines Großvaters konnte ich mich abfinden, weil ich den alten Herrn<br />

gern hatte. Aber dieser Pavillon? Die Tür ist abgeschlossen. Es wird sich schon ein Schlüssel<br />

finden. Nur nicht heute! Verrückt! Jetzt sitzen wir hier mit der Kerze wie Verschwörer <strong>und</strong> vor<br />

uns steht eine gefüllte Lampe, man braucht sie nur anzuzünden ... Sonderbar. <strong>Das</strong> Lampenglas<br />

ist ganz warm. Die Lampe muß noch vor kurzem gebrannt haben.«<br />

Oder später, wenn der jüdische Besitzer <strong>und</strong> der deutsche Besitzer, beide legal <strong>und</strong> illegal<br />

zugleich, mit ihrem gemeinsamen Geheimnis nebeneinander leben. Nicht als Fre<strong>und</strong>e.<br />

»Nein, ich mag ihn gar nicht. Er ist ein fremder Mensch. Vielleicht hasse ich ihn sogar«,<br />

sagt Kedell. Aber sie leben nebeneinander. Was bleibt ihnen übrig in dieser feindlichen<br />

Welt ringsum, die die beiden vornehmen alten Männer nicht ändern, aber die sie erst<br />

recht nicht anerkennen können? Und Levi, der eigentliche Besitzer, der versteckte, fragt<br />

den andern:<br />

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