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Das Hörspiel. Dramaturgie und Geschichte - Mediaculture online

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versucht Jan Rys, der junge, deutschschreibende tschechische Emigrant <strong>und</strong> Verfasser<br />

des Vertriebenenhörspiels Grenzgänger, in einer seiner jüngsten R<strong>und</strong>funkarbeiten<br />

Verhöre einen alltäglichen Vorgang aus unserer vertrauten Welt mit einer verfremdeten<br />

Sprache darzustellen: gehässigen Klatsch in einem Mietshaus-Treppenflur, bei dem sich<br />

immer alle gegen einen mit Vernichtungsabsichten verbinden. Gründe <strong>und</strong> Einzelheiten<br />

werden nicht klar, es wird mit Worten gesprochen, deren Inhalt zwar den Redenden ganz<br />

geläufig zu sein scheint, die aber uns, den Hörenden, alle genauen Konturen verschleiern.<br />

Dennoch können wir hier wie dort, bei Fried wie bei Rys, die Dynamik der Geschehnisse<br />

vollständig nachempfinden <strong>und</strong> miterleiden, beide Handlungen wirken trotz der<br />

Dunkelheiten äußerst spannend.<br />

Was sollen diese Versuche? Bei Rys, der immer ein antibürgerlicher Moralist ist, ist durch<br />

die nur sprachliche Abstraktion eine Befreiung von zufälliger Handlung erreicht, wodurch<br />

wir genauer als sonst erkennen, was gemeint ist: er will uns im Spiegel zeigen, wie wir<br />

uns immer hämisch – viele gegen einzelne – zusammentun. Frieds Welt aber verhält sich<br />

zu unserer gewohnten etwa wie nichteuklidische Geometrie zur euklidischen. Jedes<br />

System hat in sich eine absolut konsequente Struktur, <strong>und</strong> durch diese innere<br />

Konsequenz sind die verschiedenen Welten einander verwandt, werden eine für die<br />

andere zum Gleichnis. Der Bedeutungsspekulation ist dann, wie beim Warten auf Godot,<br />

Tür <strong>und</strong> Tor, sind zahlreiche verschiedene Interpretationsmöglichkeiten offen, sie müssen<br />

nur in sich konsequent sein.<br />

Uns interessiert an diesem Stück zwischen Blinden <strong>und</strong> Sehenden unter anderm, wie hier<br />

zwei verschiedene Imaginationen der gleichen Wirklichkeit vor sich gehen, eine durch das<br />

Ohr, die andere durch das Auge. Man könnte das Ganze als Illustration zur Theorie des<br />

<strong>Hörspiel</strong>s auffassen – auf ähnliche Weise, wie dies schon beim Odilo möglich war, also<br />

nicht nur als ein Gleichnis der sich darin spiegelnden Welt, sondern auch als ein Gleichnis<br />

der eigenen Form. Wir werden dem bei Eich wiederbegegnen, wo außer dem Erdichteten<br />

häufig das Dichten selbst zum Gegenstand des Gedichts wird. Hier bei Fried zeigt sich<br />

auch, daß solche »nichteuklidischen«, fiktiven Welten uns stets zwingen, eine geheime<br />

Bedeutung zu vermuten <strong>und</strong> ihr nachzuspekulieren. Darin liegt der Reiz dieser<br />

metaphorischen Abstraktionen.<br />

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