08.10.2013 Aufrufe

Das Hörspiel. Dramaturgie und Geschichte - Mediaculture online

Das Hörspiel. Dramaturgie und Geschichte - Mediaculture online

Das Hörspiel. Dramaturgie und Geschichte - Mediaculture online

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

kontrastiert mit der ewigen Gestalt des Sokrates; die berühmte Gerichtsverhandlung ist<br />

zugleich durch die epische Ansage eines Reporters unter die relativistische<br />

Gegenwartsperspektive gebracht; in diesem zeitironischen Zwielicht erscheint der<br />

historische Vorgang wohl der banalen Fassungskraft des Durchschnittsmenschen<br />

angeglichen, aber er hat sein erhabenes Maß verloren. Der Ideengehalt des großen<br />

Stoffes ist im Hinblick auf das Funkpublikum zu einem modernen Skeptizismus<br />

abgeflacht. Der Schwierigkeit, Erhabenes funkisch zu geben, ist ausgewichen.«<br />

Nun, diese Schwierigkeit war bei dem Stoff nachweislich nicht unüberwindlich: Plato hat<br />

sie schon vor r<strong>und</strong> zweieinhalb Jahrtausenden gemeistert, seine Dialoge haben sich<br />

inzwischen in ungezählten Funkaufführungen bewährt. Dabei ist gerade die erhabene<br />

Zentralgestalt (bei bloß geschickter Kürzung der Texte) zu neuer Wirkung gekommen:<br />

eine der lebendigsten <strong>Hörspiel</strong>figuren aus einer Zeit, bevor es <strong>Hörspiel</strong> <strong>und</strong> R<strong>und</strong>funk<br />

gab. Aber in anderer Hinsicht hat Pongs gewiß recht: bei der Darstellung des Sokrates<br />

war Kysers Ironie wohl nicht nur überflüssig, sondern schädlich. Dagegen könnte<br />

»zeitironisches Zwielicht« gegenüber der Umwelt Napoleons angemessener sein. Ein<br />

»Scherzo« leitet, nach Kyser, die Napoleon-Trilogie ein: durch das erste Stück walzt der<br />

Wiener Kongreß. Den zweiten Teil nennt der Autor ein »Allegro con fuoco«. Im heroisch-<br />

tragischen Schlußsatz folgt man dem gestürzten Kaiser, den der Chor der h<strong>und</strong>erttausend<br />

Toten gleich Furien begleitet, nach St. Helena. Wahrscheinlich ist es ein glücklicher<br />

Umstand, daß uns gerade das zweite Stück erhalten ist, in dem Kysers Bissigkeit die<br />

lohnendsten Objekte findet. Der Triumphmarsch Napoleons, der, aus Elba geflohen,<br />

seinen Fuß wieder auf französischen Boden gesetzt hat, spiegelt sich in der<br />

Erbärmlichkeit des dicken Königs Ludwig, der Pariser Gesellschaft <strong>und</strong> ihrer Presse. Die<br />

Neuinszenierung 1962 scheint erwiesen zu haben, daß das <strong>Hörspiel</strong> noch heute seine<br />

effektvoll-peinliche gesellschaftskritische Anzüglichkeit bewährt.<br />

Neben den beiden großen Reihen sind ein paar weitere Reprisen zu nennen. Außer dem<br />

ersten englischen <strong>Hörspiel</strong> Gefahr von Richard Hughes wurden, im »Hessischen<br />

R<strong>und</strong>funk« <strong>und</strong> anderwärts, auch Arnolt Bronnens Michael Kohlhaas-Bearbeitung von<br />

1927 <strong>und</strong> Felix Gasbarras <strong>Hörspiel</strong> (oder Feature) von 1931 Fahnen am Matterhorn neu<br />

inszeniert. <strong>Das</strong> Stück hat zweifellos mehr Aussicht, sich wieder durchzusetzen, als das<br />

erste Gasbarra-<strong>Hörspiel</strong> von 1929, Der Marsch zum Salzmeer.<br />

64

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!