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Das Hörspiel. Dramaturgie und Geschichte - Mediaculture online

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Sprach-Volumens« – »Glauben an die Macht der Sprache, an den Nuancenreichtum<br />

einfacher Worte« – »Perspektiven-Sprung« – »Standort-Labilität« – »Die Kehre, jederzeit<br />

möglich, beweist, wie dünn der Grenzzaun ist, der ›Ich‹ <strong>und</strong> ›Welt‹ voneinander trennt.«<br />

Und schließlich kennzeichnet Jens die heutige Priorität der Lyrik, die auch für die große<br />

Rolle des <strong>Hörspiel</strong>s so wichtig ist, mit folgenden Worten: »Seltsam, daß grade die Lyriker,<br />

diese angeblich doch zeitentfremdeten Poeten, in Gleichnis <strong>und</strong> Bild so viel Gültigeres<br />

über unsre Gegenwart aussagen als die Romanciers in dickleibigen Büchern ... Die<br />

Chiffre als legitimer Spiegel dieser geisterhaft-flüchtigen, im Übergang <strong>und</strong> rapiden<br />

Wechsel begriffenen Zeit? Weshalb sonst die Blüte der Lyrik, nicht nur Versprechen,<br />

sondern Meisterschaft <strong>und</strong> Erfüllung, Poesie von europäischem Rang?«<br />

Kein Zweifel, daß alle diese Kennzeichen Charakteristika auch des <strong>Hörspiel</strong>s sind. Auch?<br />

Wer den Sachverhalt prüft, wird kaum verkennen, daß das <strong>Hörspiel</strong> wahrscheinlich die<br />

Form ist, die sich den von Jens geschilderten zeittypischen Tendenzen weitaus am<br />

besten anpaßt. Einfach darin besteht ihre Chance: in einer Zeit, in der »Fülle der<br />

Kargheit« angestrebt wird, erscheint der Roman als zu »füllig«, erscheinen die<br />

Möglichkeiten des Gedichts als zu »karg«. Ferner bedarf das »denkende <strong>und</strong> handelnde<br />

Kreieren von Welt«, das Spürbarmachen der »Löcher« im Gespräch, der »single point of<br />

view«, der durchlässige Grenzzaun zwischen »Ich« <strong>und</strong> »Welt« <strong>und</strong> so fort im Gr<strong>und</strong>e der<br />

Spontaneität gesprochener Ich-Sprache.<br />

Wahrhaftig, das <strong>Hörspiel</strong> ist nicht eine bösartige Erfindung derjenigen, die dem Theater<br />

das Wasser abgraben wollen, nicht eine Kunst passionierter Liebhaber des Erleidens,<br />

sondern es wächst unmittelbar aus dem Ausdruckswillen der Zeit. Und wenn Paeschke<br />

bek<strong>und</strong>et, meiner Titelprägung Selbstporträt der Zeit nur zustimmen zu können unter der<br />

Bedingung, daß damit »die Zeit in ihrem modus deficiens gemeint ist«, so möchte ich<br />

fragen: wie anders denn die Zeit sich gibt, <strong>und</strong> wie anders sie gemeint sein kann – sowohl<br />

phänomenologisch als auch historisch-politisch –, <strong>und</strong> ob die Künstler den Modus der<br />

Zeit, ohne zu groben Lügnern zu werden, einfach in sein Gegenteil verkehren können? Im<br />

übrigen bekennt auch Paeschke, daß hier ein »Hauptthema aller modernen Kunst <strong>und</strong><br />

Literatur« liegt, <strong>und</strong> ich ergänze: auch dies ist ein Thema, das sich im <strong>Hörspiel</strong> am<br />

prägnantesten darstellen läßt, weil man in ihm das Zerfallen <strong>und</strong> Verrinnen der Zeit<br />

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