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Das Hörspiel. Dramaturgie und Geschichte - Mediaculture online

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GIBT ES EIN »TOTALES SCHALLSPIEL«?<br />

http://www.mediaculture-<strong>online</strong>.de<br />

Ich bin in meiner Praxis nur einmal auf eine Erscheinung gestoßen, die in mir den<br />

Verdacht weckte – nicht, daß mit Geräuschen ein selbständiges Ausdrucksspiel denkbar<br />

wäre, wohl aber, daß Geräusche etwas mehr bedeuten könnten, als sie bisher im <strong>Hörspiel</strong><br />

nach dem Willen der Autoren <strong>und</strong> Regisseure bei uns bedeutet haben.<br />

Bei Durchsicht der zahlreichen Rohübersetzungen unmittelbar aus dem japanischen, die<br />

Manfred Hubricht im Auftrag des »Norddeutschen R<strong>und</strong>funks« 1956/57 hergestellt hat,<br />

<strong>und</strong> bei ihrer dramaturgischen Bearbeitung (vier japanische Originalhörspiele wurden<br />

gesendet) schien mir, daß in Ostasien die Menschen vielleicht ein feineres Organ für die<br />

Entschlüsselung von Geräuschen haben als wir, daß sie vielleicht bei Geräuschen<br />

genauer assoziieren <strong>und</strong> imaginieren. In dem <strong>Hörspiel</strong> Die Spieldose werden plötzlich,<br />

nachdem in der ersten Hälfte das blinde Mädchen <strong>und</strong> der eingestiegene Dieb einen<br />

normalen Dialog miteinander geführt haben, Dialog <strong>und</strong> Sprache im zweiten Teil auf weite<br />

Strecken als Mittel der Handlungsführung aufgegeben; der Fortgang der Handlung (Arbeit<br />

des Diebs zum Zweck des Gelderwerbs für den Spieldosenkauf, Kauf <strong>und</strong> Übergabe der<br />

Spieldose an das Mädchen <strong>und</strong> Katastrophe) wird – außer mit ganz wenigen Worten<br />

trivialen Alltagsdialogs – durch Geräusche angedeutet, die offensichtlich ohne irgendeine<br />

Verbindung in impressionistischer Folge nebeneinanderstehen. Wir mußten den Dialog für<br />

die deutschen Hörer sozusagen rekonstruieren. Bei uns sind Hörszenen aus bloßem<br />

Geräusch nur in sehr simpler Form, als scherzhafte Ratespiele bei<br />

Unterhaltungssendungen, versucht worden, mehr geben sie für unsre Ohren nicht her.<br />

<strong>Das</strong> eigentümlich produktive Verhältnis der Japaner zum Geräusch schien auch ein<br />

Experiment Bernhard Rübenachs, des <strong>Hörspiel</strong>leiters am »Südwestfunk«, zu erweisen. Er<br />

ließ kürzlich das japanische <strong>Hörspiel</strong> Marathon von Naoya Uchimura nach ausführlicher,<br />

einleitender Analyse vierzig Minuten lang in der Ursprache senden. Es zehrt in<br />

verblüffender Weise – abseits von allen literarischen Kriterien – von<br />

geräuschrhythmischen Ausdrucksmitteln, z. B. von dem penetranten Ostinato aus<br />

erregenden Atem- <strong>und</strong> Schrittfigurationen, über denen Sprachfetzen als Träger von<br />

Emotionen <strong>und</strong> Reminiszenzen <strong>und</strong> weitere Geräuschvorgänge wie Melodien schweben;<br />

vieles erinnert, obwohl so gut wie keine musikalischen Mittel verwendet werden, an<br />

Strawinskische Ausdrucksrhythmik.<br />

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