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Das Hörspiel. Dramaturgie und Geschichte - Mediaculture online

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den klaren Fronten von Pflicht <strong>und</strong> Neigung oder um das mörderische Ergebnis eines<br />

totalen Mangels an Wirklichkeitssinn <strong>und</strong> Wirklichkeitserfahrung? Und mit Entsetzen<br />

taucht mir wieder auf, wie uns Jungen gerade damals etwas wie ein »handelndes<br />

Weltverhältnis« täglich nahegebracht <strong>und</strong> anbefohlen wurde.<br />

Ist es denn überdies erlaubt <strong>und</strong> möglich, die lyrische <strong>und</strong> epische Affinität des <strong>Hörspiel</strong>s<br />

einfach außer acht zu lassen <strong>und</strong> ihm die Dramatik (vor allem die ausländische) als<br />

aktiveres Vorbild entgegenzusetzen? Sind nicht die bei uns meistgespielten<br />

amerikanischen Bühnendichter O'Neill <strong>und</strong> Tennessee Williams geradezu Musterbeispiele<br />

leidenden Weltverhaltens im Drama, denen wir in dieser Hinsicht nichts an die Seite zu<br />

stellen haben? Und wirken nicht im Vergleich damit die jungen deutschen<br />

Theaterschriftsteller Ahlsen, Oelschlegel <strong>und</strong> Lenz, deren bekannteste Stücke obendrein<br />

aus <strong>Hörspiel</strong>en hervorgegangen sind, geradezu beängstigend aktiv? Nein, wir Deutschen<br />

wollen künftig gegen unsere Bereitschaft zum Handeln lieber mißtrauisch sein: seit<br />

Heinrich von Kleist in seiner Glosse Von der Überlegung das Nachdenken erst nach der<br />

Tat empfahl, ist zu großes Unheil geschehen.<br />

Und doch hat Paeschke in vielem recht. Ich habe es ja zu beschreiben versucht, dieses<br />

vorwiegend leidende Verhalten der <strong>Hörspiel</strong>figuren, das freilich ein gleichzeitiges Handeln<br />

durchaus nicht ausschließt. Eine der Formulierungen vor allem finde ich in Paeschkes<br />

Aufsatz so vortrefflich, daß ich sie zitieren muß:<br />

»Wie blind bewegen sich die Regungen, Empfindungen, Gedanken auf dieser ›unsichtbaren<br />

Bühne‹ im Kreise, sich selbst besprechend, weil es an einem Gegenüber fehlt! Oder anders,<br />

vielleicht genauer: weil es letztlich an einem Subjekt fehlt, das ganz es selbst <strong>und</strong> nicht von Teil<br />

zu Teil, von Mal zu Mal ein anderes wäre. Aufgehoben das Gesetz der Identität, <strong>und</strong> mit ihm<br />

freilich auch die Möglichkeit der echten Kommunikation, in diesem unablässig sich wandelnden<br />

Zeit-Raum-Kontinuum, in dem das <strong>Hörspiel</strong> sich vollzieht – <strong>und</strong> das am ehesten einem<br />

mikrophysikalischen Versuchsfeld zu vergleichen wäre. Gleich Elektronenspuren auf einem<br />

Bildschirm kommen die Stimmen des <strong>Hörspiel</strong>s aus dem Dunkel <strong>und</strong> verschwinden in ihm – <strong>und</strong><br />

mit ihnen wie oft auch ihre Botschaft! Ist es erstaunlich, daß die Sprache in einem solchen<br />

Medium so selten aus dem Monolog herausfindet (<strong>und</strong> wohl auch deshalb so stark an die<br />

Sprache des Lyrikers gekettet ist)? Und daß sie, ständig am Rande des Unsagbaren, so leicht<br />

als bloßes Gerede erscheint – <strong>und</strong> die Metapher als beliebig auswechselbare Verkleidung einer<br />

Realität, die fast nur noch aus Flüchtigkeit besteht?«<br />

Gerade an dieser so genauen Beschreibung läßt sich zeigen, wie dicht die Gegensätze<br />

beieinander wohnen. Paeschke glaubt damit die negativen Eigenschaften des <strong>Hörspiel</strong>s<br />

zu fixieren, <strong>und</strong> ich meine, er fixiert die Eigenschaften unserer Zeit <strong>und</strong> des Substrats<br />

R<strong>und</strong>funk, in dem das <strong>Hörspiel</strong> sich bewegt. Unsere Zeit aber <strong>und</strong> die Tatsache, daß wir<br />

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