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Das Hörspiel. Dramaturgie und Geschichte - Mediaculture online

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Aber Eich hat etwas ganz anderes vor. Er redet nicht zu den Schurken, die »vermutlich<br />

die angenehmen Träume dieser Welt« träumen, sondern zu uns. Und er redet nicht von<br />

dem weithin sichtbaren Bösen, das, selbst wenn es eine Zeitlang unbekannt bleibt, am<br />

Ende doch immer offenbar wird (wenn auch oft zu spät), sondern er redet von dessen<br />

verborgenen, allgemeinen Ursprüngen, die auch uns, gerade uns betreffen. Er redet von<br />

der entsetzlichen <strong>und</strong> fast unmerklichen Verwandlung des Menschen, die sich – wie von<br />

außen, wie durch ein anonymes »Es« herbeigeführt – an Allen zu vollziehen scheint,<br />

besonders an den Wohlmeinenden. Sogar an denen zuerst, falls sie sich nicht<br />

entschließen, sich von den Ordnern der Welt nicht mehr ordnen zu lassen. Mit anderen<br />

Worten: es geht (theologisch gesprochen) um eine andere Art der Sünde; sie ist zwar,<br />

wenn nicht Ursache, so doch mitschuldig an den vielen Greueln, aber ihr Ansatz liegt<br />

tiefer: nicht erst da, wo die Bösen ihre Aktivität beginnen, sondern da, wo das Salz dumm<br />

wird <strong>und</strong> die Aktivität der Guten schläfrig, wo man alles gleichmütig-vertrauensvoll<br />

geschehen, läßt <strong>und</strong> das Glück mit dem vergessen gleichsetzt, wenn nur die Trommel<br />

dröhnt. Dann gewinnt jenes Es über uns die Herrschaft, so daß wir durch Termitenfraß,<br />

ausgehöhlt werden <strong>und</strong> das Licht der Vernunft in uns wie nach dem Genuß irgendeiner<br />

geheimnisvollen Speise erlischt, wahrend außerhalb unseres dunklen, ewig<br />

weiterrollenden Gehäuses die Menschen als riesige Ungeheuer die wüsten Wälder<br />

durchstampfen. Dies ist der Vorgang, den Eich in seinen Gleichnissen darstellen will.<br />

Doch sind die fünf Träume von sehr unterschiedlichem Grad des Gelingens. Der zweite ist<br />

nichtssagend, bloß gräßlich, ohne Gleichniskraft, fällt aus dem Stil, wirkt durch seine<br />

Äußerlichkeit auch auf das Ganze, auf alle andern verharmlosend. Nur bei der Frage des<br />

Vampirs, ob nicht die Eltern die Kleider ihres geschlachteten Söhnchens gleich<br />

mitnehmen wollen, gerät die Szene einmal kurz ins Überdimensionale. Doch handelt es<br />

sich um die Überdimensionalität einer empirischen Wirklichkeit, an die wir erinnert<br />

werden, jener, die uns in den letzten Jahrzehnten aufgedeckt wurde; ihre Schockwirkung<br />

ist künstlerisch auch nicht annähernd erreichbar. Eich weiß, daß es seine Aufgabe sein<br />

muß, nicht Symptome zu zeigen, sondern nach den Gründen zu fragen. <strong>Das</strong><br />

Schlußgedicht <strong>und</strong> die andern Träume beweisen das, beweisen, daß er sich wirklich auf<br />

die Spur des Teufels begeben hat. Was quält er uns dann mit Gräßlichkeiten, die<br />

gegenüber der Wirklichkeit doch nur die Wachsfarbe des Panoptikums erreichen? Was<br />

zerstört er die Einheit seines Gedichts?<br />

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