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Das Hörspiel. Dramaturgie und Geschichte - Mediaculture online

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1947 in die Hand nimmt, den wird zweierlei mit neidvollem Staunen erfüllen: daß heikle<br />

Probleme wie die Oder-Neiße-Linie seinerzeit mit viel weniger Hemmungen angefaßt<br />

wurden als in unseren Tagen, in denen politisches Denken nur noch nach Schablonen<br />

vonstatten geht, <strong>und</strong> daß sich damals sogar hinter einem so naiven politischen<br />

Illusionismus noch reale Hoffnungen <strong>und</strong> Möglichkeiten zu verbergen schienen.<br />

Im Gegensatz zu Eggebrecht versucht Schnabel im 29. Januar <strong>und</strong> drei Jahre später in<br />

Ein Tag wie morgen eine andere formale Methode. Sie war wohl englischem Empfinden<br />

<strong>und</strong> den voraufgegangenen angelsächsischen Versuchen in diesem Metier näher, sonst<br />

hätte die BBC den Text nicht noch im gleichen Jahr ins Englische übersetzen <strong>und</strong> für ihre<br />

Sender inszenieren lassen.<br />

Schnabels Idee ist, als Berichterstatter aufzutreten, der von sich selbst absieht, sich<br />

selbst ausklammert. Er hat diese manchmal etwas kokette Technik auch in seinen<br />

späteren Arbeiten oft praktiziert, indem er von sich selber, obwohl er ausschließlich<br />

Erlebnisreflexe berichtet, in der dritten Person spricht: als Gewährsmann, als<br />

Tagebuchstimme oder (geradezu ein wenig biedermeierlich) als »unser Reisender«. Doch<br />

hier in seinen ersten großen Features, diesen sozialanalytischen<br />

Monumentaldarstellungen, hält er sich nicht nur scheinbar zurück. Er betont jene<br />

Objektivität durch Mittel, die wir schon im Zusammenhang mit Schäfers Malmgreen<br />

charakterisierten: penible Chronologie <strong>und</strong> ostentative Zeitangaben, diesmal sogar durch<br />

Daten über den Stand von Sonne, Mond <strong>und</strong> Sternen. So soll beim Hörer das Gefühl für<br />

den großen objektiven Zeitstrom entstehen, auf dem dann die H<strong>und</strong>erte von Szenchen mit<br />

subjektivem Zeiterleben wie Spreu, wie zufällige geschichtslose Fracht, wie<br />

Schicksalssplitter treiben.<br />

Es ist unmöglich, von der Fülle dieser Szenchen <strong>und</strong> Schicksalssplitter durch Beschreiben<br />

eine Vorstellung zu geben: ein sozialwissenschaftliches Institut sollte sich ihrer annehmen<br />

<strong>und</strong> den beiden Sendungen <strong>und</strong> ihrer Vorgeschichte einmal nachgehen, ehe alle<br />

Unterlagen verloren sind. Ein wenig von der Vielfalt der Bilder kann man ahnen, wenn<br />

man sich klarmacht, daß der Textumfang jedes der zwei Features nicht weit über den<br />

eines normalen <strong>Hörspiel</strong>s hinausgeht, daß aber – nach den Arbeitsunterlagen beim<br />

erhaltenen Regiemanuskript Ein Tag wie morgen – die doppelte Produktionszeit nötig<br />

war, <strong>und</strong> daß die Besetzungsliste 156 verschiedene Stimmen umfaßt. Man muß sich<br />

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