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Das Hörspiel. Dramaturgie und Geschichte - Mediaculture online

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bearbeiten ließ, muß zu den mehr diskursiven Stücken gezählt werden. Wieder handelt es<br />

sich um die <strong>Geschichte</strong> einer Sterbenden, aber nicht, wie bei Wickert, um<br />

Auseinandersetzung mit Schmerz <strong>und</strong> Tod, auch nicht, wie bei Hirche, um Abschied von<br />

jenem »farbigen Abglanz«, in dem wir »das Leben haben«. Sondern sehr überzeugend,<br />

<strong>und</strong> diesmal ganz aus der katholischen Erfahrung der moralischen Selbstkonfrontation in<br />

der Beichte, erkauft die Sterbende mit ihrer eigenen Sündhaftigkeit ein Stück Freiheit für<br />

einen ihrer Söhne, für den mißratensten <strong>und</strong> liebsten unter ihnen.<br />

Seit etwa 1957, seit Eine St<strong>und</strong>e Aufenthalt, <strong>und</strong> noch deutlicher bei den beiden jüngsten<br />

kleinen Szenen Klopfzeichen <strong>und</strong> Die Sprechanlage (60 <strong>und</strong> 62), gewinnt man den<br />

Eindruck, als ob Böll im Begriff sei, eine eigene Form des <strong>Hörspiel</strong>s zu entwickeln. Von<br />

einer bestimmten Situation aus reißt er – nicht Probleme, sondern Schicksale auf, legt sie<br />

aber nicht etwa offen dar, sondern deutet sie bloß an. Besonders überzeugend ist das in<br />

jenem Stück gelungen, in dem der zufällige Halt eines Zuges auf dem Bahnhof einer<br />

mittleren Stadt einem Reisenden zum Anlaß wird, ein Dutzend Menschen dieser Stadt,<br />

Menschen der Familie, aus der er kommt, lebendig werden zu lassen – auf dem Friedhof,<br />

an ihren Gräbern, zu denen er fährt. Nicht mit ruhiger Gelassenheit geschieht diese<br />

Erweckung, sondern – das ist das Entscheidende – mit der Unzuverlässigkeit <strong>und</strong><br />

Sprunghaftigkeit des Affekts <strong>und</strong> der Emotion. Vergangenheit durch das Gedächtnis<br />

gezeichnet ist genau, aber langweilig; nur durch Haß <strong>und</strong> Bitterkeit, durch Liebe <strong>und</strong><br />

Angst <strong>und</strong> Erschütterung wird sie aufregend.<br />

In Klopfzeichen <strong>und</strong> Sprechanlage geht diese Emotion nun gar von akustischen Daten<br />

aus, deren Suggestivität von den Dargestellten auf die Hörer übertragen wird. Doch kann<br />

man darüber noch nicht mehr sagen. Böll wird diesen Stil erst noch weiterentwickeln<br />

müssen. Ich glaube, daß sowohl aus Bölls letztem Roman Billard um halb zehn (mit der<br />

keineswegs episch gelassenen, sondern merkwürdig impressionistisch-andeutenden<br />

Technik) als auch aus seinem ersten dramatischen Versuch Ein Schluck Erde (<strong>und</strong> hier<br />

trotz des Mißlingens) hervorgeht, daß der Autor handwerklich <strong>und</strong> thematisch an neuen<br />

Möglichkeiten experimentiert. Bölls Entwicklung in den kleinen <strong>Hörspiel</strong>en scheint darauf<br />

hinzudeuten, daß er damit auf einem guten Weg ist.<br />

Ich sagte, daß die drei Autoren Hoerschelmann, Wickert <strong>und</strong> Böll mit ihren <strong>Hörspiel</strong>en<br />

eine merkwürdige Trias bilden. Als vierten könnte man den fünf<strong>und</strong>sechzigjährigen<br />

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