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Das Hörspiel. Dramaturgie und Geschichte - Mediaculture online

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längst ehrfurchtheischender Bestandteil des Deutschunterrichts, stünde Borchert nicht<br />

schon unter nationalliterarischem Denkmalschutz, man hätte sich das noch unverblümter<br />

eingestanden. Dieses Werk hat mit Theater nicht viel zu tun. Seine langen Erzähl-<br />

Einleitungen, erst anonym, dann aus dem M<strong>und</strong>e des »Begräbnisunternehmers«, der<br />

schließlich als weitere Abstrakta jenen alten Mann, den lieben Gott, <strong>und</strong> jene alte Frau,<br />

die Elbe, nach sich zieht – <strong>und</strong> vor allem »den Anderen«, damit dann der unaufhörliche<br />

innere Dialog zwischen Borchert <strong>und</strong> Beckmann, Beckmann <strong>und</strong> Borchert das ganze<br />

Stück immerfort kommentieren kann –, diese zufällige, rein additive Handlungsführung,<br />

die keine Peripetie <strong>und</strong> keine Klimax, sondern nur eine lyrische <strong>und</strong> kabarettistische<br />

Szenenfolge kennt, deren Figuren am Ende noch einmal bei einer Art Karussellfinale im<br />

Geschwindmarsch über die Bühne des Gewissens memoriert werden, diese assoziativen<br />

Blenden, die ohne Zeitverlust von Schauplatz zu Schauplatz führen, diese weichen<br />

Übergänge statt harter Szenenschlüsse <strong>und</strong> dieser Stückschluß, der den Protagonisten<br />

vorn an der Rampe hängen läßt, so daß er nicht weiß, wie er schnell genug<br />

zurückkommen soll, ehe der Vorhang fällt – all dies ist absolut bühnenfremd <strong>und</strong><br />

bühnenunwirksam. Hätten wir nicht ein Theater, das sich selbst nicht mehr theatralisch<br />

ernst nimmt, das sogar das <strong>Hörspiel</strong> Milchwald <strong>und</strong> Shaw’sche Briefdialoge mit<br />

oratorischer Bravour zur Wirkung zu bringen versteht, dann wären Mißverständnisse wie<br />

dies, daß Borchert ein Schauspiel geschrieben habe, <strong>und</strong>enkbar.<br />

Gerhard Prager formulierte das aus Anlaß der R<strong>und</strong>funkwiederholung am zehnten<br />

Todestag Borcherts mit großer Genauigkeit:<br />

»Demnach konnte es kein Zufall, sondern mußte es Selbstverständlichkeit sein, als er seine<br />

Heimkehrertragödie zuerst als <strong>Hörspiel</strong> abfaßte, bevor er sich dazu bewegen ließ, eine<br />

Bühnenfassung zu schreiben, deren Pferdefüßigkeit sich später bei jeder noch so kunstvollen<br />

Aufführung erweisen sollte. Borcherts dichterische Begabung beruht auf einer eigenartigen<br />

Virtuation des Worts, die ausschließlich über das Ohr wahrzunehmen ist. Die ganz große<br />

explosive Rhythmik seiner Gefühlssprache mit ihren Wiederholungseffekten erträgt keine<br />

Verbildlichung, keine Kulissenwirklichkeit, sondern bedarf allein jener inneren Bühne, die sich<br />

der einzelne Mensch nach dem Vermögen seiner eigenen Phantasie zurechtzimmert. Wie<br />

elementar Borcherts Dichtung <strong>Hörspiel</strong> ist, erweist sich an den allegorischen Erscheinungen, die<br />

der Dichter ganz bewußt einsetzt, um der monologischen, ja monomanischen Verfassung<br />

seines Heimkehrers Beckmann eine Erlösung im Dialog zu gönnen. Es werden nicht etwa die<br />

realen Szenen, z. B. Beckmann/Oberst oder Beckmann/Kabarettdirektor das eigentliche<br />

dialogische Element des Stückes, sondern das irreale Fragen <strong>und</strong> Antworten, das zwischen der<br />

physischen Existenz Beckmann <strong>und</strong> den metaphysischen Existenzen Gott, Tod <strong>und</strong> Der Andere<br />

stattfindet. Auch die Elbe, die im Stück auftritt, oder der Straßenkehrer, der gar keiner ist,<br />

deuten den Innenraum an, in dem hier gespielt wird. Sobald aber ein Regisseur, komme er nun<br />

vom Theater oder vom Fernsehen, darangeht, den Aktionsradius der allegorischen<br />

Erscheinungen zu verkürzen oder sie gar überhaupt wegzustreichen, weil sie ihn –<br />

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