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Das Hörspiel. Dramaturgie und Geschichte - Mediaculture online

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<strong>und</strong> Döblin bei der Berliner Inszenierung – alle dem »Tod« zugeteilt. So erhält das Ganze<br />

als wiedergewonnener geschriebener Text eine Mitte, die es in der ersten erhaltenen<br />

Verwirklichung noch nicht hatte. Seine Arrangeure, zugleich formunsicher <strong>und</strong> gewöhnt,<br />

die Unsicherheit mit scheinbarer Routine-Sicherheit zu überspielen, hinterließen es in<br />

improvisatorischer Unausgewogenheit.<br />

Eine andere Mitte ist allerdings gegenüber jeder schriftlichen Form, auch gegenüber dem<br />

Roman, im <strong>Hörspiel</strong> viel deutlicher – zusätzlich durch die Faszination Heinrich Georges:<br />

der Mann Biberkopf. Und eine weitere, erstaunliche Intensivierung wird in der<br />

gesprochenen Fassung durch die Sprache erreicht, die keineswegs im Sinne eines<br />

platten Realismus wirkt, obgleich sich das <strong>Hörspiel</strong> gegenüber dem Roman wohl auch<br />

etwas mehr auf die Berliner Sprachidiomatik einläßt.<br />

Wie Döblin das Realismus-Problem sah, geht aus einer sehr bezeichnenden Einzelheit<br />

hervor. Da ist eine Szene, die nicht, wie die übrigen, ganz in der Sprache aufgeht,<br />

vielmehr eine Art Kriminalfilm ist, bloß motorisch-äußerer Vorgang, bloß dramatische<br />

Verfolgung: nämlich als Franz Biberkopf aus dem fahrenden Auto gestoßen wird. Noch<br />

heute sind so bewegte Handlungen im <strong>Hörspiel</strong> künstlerisch <strong>und</strong> technisch nur<br />

unbefriedigend wiederzugeben. Man kann sich daher vorstellen, wie ratlos Bing war <strong>und</strong><br />

wie er Döblin um eine Lösung bedrängt hat. Der Dichter aber erfand einen genialen<br />

poetischen Kunstgriff: er ließ die beiden Autos, die am Verbrechen beteiligt werden, den<br />

»Fiat« <strong>und</strong> den »Opel«, ein Gespräch miteinander führen, auch während der<br />

Verbrecherfahrt greifen ihre Stimmen warnend ein. Die Szene hat im Roman kein Vorbild,<br />

es sei denn, man denkt an das inhaltlich andersartige Gespräch der vier »Mollen« mit<br />

dem traurigen Franz Biberkopf. Der Unterschied ist aber, daß im <strong>Hörspiel</strong> die beiden<br />

sprechenden Fahrzeuge nicht bloß Stimmungsingredienzen sind, sondern aktiv in der<br />

Handlung stehen. Dadurch ergibt sich eine ganz unproblematische, reine Naivität, wie<br />

wenn Kinder bei ihren Spielen mit Gegenständen reden. Unzählige Male ist später, in<br />

anderen <strong>Hörspiel</strong>en, den Dingen Stimme verliehen worden, niemals geschah es wieder<br />

mit soviel Unschuld, niemals wirkte es wieder so überzeugend wie hier.<br />

Daß im Alexanderplatz-<strong>Hörspiel</strong> nun auch immerfort, <strong>und</strong> recht realistisch, Blenden von<br />

einer Szene zur andern, von einem »Schauplatz« zum andern mit lässiger<br />

Selbstverständlichkeit angewandt werden (<strong>und</strong> bei der Imaginationskraft der Sprache<br />

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