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Das Hörspiel. Dramaturgie und Geschichte - Mediaculture online

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überwiegend impressionistisch-mosaikhafte Methode. Wie sollte er auch anders<br />

verfahren, wenn es darum ging, fünf<strong>und</strong>dreißigtausend oder gar achtzigtausend<br />

Schicksale in anderthalb St<strong>und</strong>en zu einem Gesamtbild werden zu lassen?<br />

<strong>Das</strong> Jahr 1947 war ein großes Feature-Jahr, das in der deutschen R<strong>und</strong>funkgeschichte<br />

auch später nur noch wenige seinesgleichen hatte. Allein von Axel Eggebrecht standen<br />

vier umfangreiche Arbeiten im Programm: Was wäre, wenn ... (im März), Wenn wir<br />

wollen ... (im April), Die Ameisen (im November) <strong>und</strong> <strong>Das</strong> Jahr 1948 findet nicht statt (am<br />

31. Dezember). Alle vier Sendungen sind formal mit Erzählertexten verb<strong>und</strong>ene<br />

Hörszenen, inhaltlich politisch-utopische Konstruktionen, die dem Versuch dienen, mit<br />

Phantasie, Mut <strong>und</strong> leidenschaftlichem Gerechtigkeitswillen – kritisch auch gegen die<br />

Politik der andern – die Deutschen vom Nationalismus, aber zuerst einmal von der<br />

Lethargie, in der sie damals lebten, zu befreien.<br />

<strong>Das</strong> berühmteste der vier Features wurde Was wäre, wenn ... Gesendet nur fünf Tage vor<br />

der Moskauer Konferenz, wurde darin den Diplomaten ein europäischer Erneuerungsplan<br />

empfohlen, den der Autor seinem Liebling unter den Dichtern, George Bernard Shaw, in<br />

den M<strong>und</strong> legte. In den M<strong>und</strong> legen ... darin war Eggebrecht unerschrocken. Er ließ in<br />

seinem Stück fast alle namhaften Politiker jener Zeit auftreten <strong>und</strong> schrieb ihnen den Text<br />

vor. Die Lizenz dazu verschaffte er sich, indem er sich selbst <strong>und</strong> die Hörer ins Jahr 2047<br />

versetzte <strong>und</strong> das Jahr 1947 wie einen alten Film aus der Distanz abspulte. Dieses Spiel<br />

mit der Zeit – ganz hörspielgemäß – erlaubte dem Autor als Realität darzustellen, was<br />

Traum war. Im Interesse der Deutschen <strong>und</strong> der andern, die sich vor den Deutschen<br />

fürchten, erfand er eine Radikallösung für alle Probleme: ein mitteleuropäisches,<br />

übernationales Territorium, das aber nicht nur Deutschland umfaßte, sondern für welches<br />

auch Polen, Frankreich, Rußland, Italien – mit der Maßgabe, daß später noch mehr<br />

hinzukommen solle – auf Souveränitätsrechte in einzelnen Teilen ihres Landes<br />

verzichteten. Natürlich geht alles gut, es kommt wirklich noch mehr hinzu, <strong>und</strong> schon um<br />

1965 ist Shaw-Land, so heißt der neue Staat, weltumspannend.<br />

Es wirkt selbst aus dem Abstand von anderthalb Jahrzehnten noch höchst aufregend, aus<br />

dem M<strong>und</strong>e eines temperamentvollen Journalisten jener Jahre die ungelösten Probleme<br />

dargestellt zu sehen, die uns heute politisch noch stärker als damals beängstigen. Wer<br />

die gedruckte Ausgabe des Eggebrecht-Features in den Nordwestdeutschen Heften von<br />

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