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Das Hörspiel. Dramaturgie und Geschichte - Mediaculture online

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spirituellen, flüchtigen in einen konkreten, festen Aggregatzustand. Und mag auch der<br />

Dichter das leibhaftige Bühnengeschehen in seiner Vielfalt aus Licht <strong>und</strong> Farbe, aus<br />

Bewegung <strong>und</strong> Mimus noch so genau im aufgezeichneten Text mitdichten: schließlich ist,<br />

selbst wenn er als Regisseur unten sitzt, nicht er es, der dem Werk diesen endgültigen<br />

Aggregatzustand, diese Verkörperung gibt, es vom Wort weg zur Bühnenrealität erlöst –<br />

aus der dann freilich, wenn alles gut geht, das Wort, wie Dürrenmatt sagt, »als der<br />

eigentliche Höhepunkt wieder erreicht wird«. <strong>Das</strong> endgültige Werk ist das der<br />

Schauspieler, die mit ihrer Körperlichkeit darin aufgehen; ferner das des Bühnenbildners,<br />

der Beleuchter <strong>und</strong> des Regisseurs, der, eben weil die endgültige Verwirklichung niemals<br />

mit der spirituellen Konzeption des Dichters identisch sein kann, in einer Zeit, in der<br />

Einheit des Stils so ernst genommen wird, so viel Macht gewonnen hat. Wie wichtig<br />

denjenigen, die die eigentliche Übersetzung in die Theaterwirklichkeit vornehmen, diese<br />

Macht ist, wie störend sie den Einbruch des Unberechenbaren, des Spirituellen der<br />

Dichtung mit ihrem beherrschenden Anspruch in ihre Arbeit empfinden, zeigt sich daran,<br />

daß sich die Theaterleute immer wieder von der produktiven Mitsprache der<br />

Theaterdichter zu befreien versuchen: entweder dadurch, daß sie das Werk toter<br />

Klassiker zum festen Kanon machen, an dessen immer gleichem Bestand sie ungehindert<br />

die Virtuosität ihrer Interpretationskunst erproben können, oder indem sie – redlicher – ein<br />

entfesseltes Theater proklamieren, das eines literarischen Korrelats nicht unbedingt<br />

bedarf. In beiden Fällen verfügen sie über ihre Bühne allein, lösen sie von den immer<br />

mehr spiritualisierenden Tendenzen der modernen Literaturentwicklung, deren Sinn für<br />

Realität, auch für Theaterrealität (trotz einiger weniger Gegenbeispiele unter unseren<br />

heutigen Autoren) gleichzeitig immer mehr dahinschmilzt.<br />

Im Gegensatz zum Theater bestehen bei der Aufführung einer Sinfonie oder eines<br />

<strong>Hörspiel</strong>s in Klang oder gesprochener Sprache beide, Schriftbild <strong>und</strong> Klangbild, aus<br />

verwandtem, materielosen »Material«. Zwar besitzt die Interpretation auch hier durchaus<br />

Spielraum <strong>und</strong> Freiheit, aber emanzipieren kann sie sich nicht. Da die Welt des Ohrs –<br />

nach Kierkegaard des »Organs der Innerlichkeit« – spirituellen Charakter hat, bleibt, was<br />

dem Ton- bzw. Wortdichter als Konzeption vorschwebte, auch zum Klingen gebracht in<br />

jenem Raum der Mitte zwischen Geist <strong>und</strong> Materie, in dem sich Form ohne Schwerkraft<br />

verwirklichen läßt.<br />

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