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Das Hörspiel. Dramaturgie und Geschichte - Mediaculture online

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Jahrzehnt in Nordwestdeutschland ist u. a. bekannt: daß ein fast zweistündiger, nur von<br />

einer Nachrichtenpause unterbrochener Vortrag Mathias Wiemans, in dem erstmals,<br />

nahezu ungekürzt, Hemingways Alter Mann <strong>und</strong> das Meer dem deutschen Publikum<br />

vorgestellt wurde, einer der größten Hörererfolge gewesen ist, der den<br />

Programmredakteuren Mut zu langen Prosasendungen gab, <strong>und</strong> daß – um zwei ganz<br />

andere Genres zu nennen – ein volkstümlicher Mikrophonplauderer wie Hansjürgen<br />

Weidlich mit seinem unverbindlich-herzlichen Humor <strong>und</strong> ferner die Märchenerzählerin<br />

Sophie von Kamphoevener, die ihre Stoffe von dem kleinasiatischen Märchenerzähler<br />

Fehim Bey »geerbt« hat, sich übers R<strong>und</strong>funkmikrophon eine Gemeinde erwarben. Doch<br />

hat Hemingways geniale <strong>Geschichte</strong> ihre würdevolle, fast archaische Großflächigkeit<br />

gewiß nicht Mikrophonerfahrungen, sondern ausschließlich der Reife ihres Dichters zu<br />

verdanken; Weidlich ist ein fre<strong>und</strong>liches Naturtalent, das den R<strong>und</strong>funk nur benutzt <strong>und</strong><br />

sich ohne ihn gebildet hat; <strong>und</strong> Frau von Kamphoevener wuchs zufällig in der Tradition<br />

der Karawan-Serail auf, an deren nächtlichen Lagerfeuern man die Praxis des Erzählens<br />

<strong>und</strong> Zuhörens länger <strong>und</strong> genauer kennt als in deutschen Funkstudios.<br />

Im übrigen steht den Versuchen, das Fabulieren wieder zu Ehren zu bringen, die innere<br />

Unruhe des heutigen Menschen im Wege. Vergleicht man mit den Zeiten Goethes <strong>und</strong> der<br />

Romantik, so war deren Prosa – ohne R<strong>und</strong>funk – den stilistischen Einflüssen des<br />

mündlichen Erzählens weit offener. Goethe <strong>und</strong> Schiller haben in ihrem gemeinsamen<br />

kleinen Aufsatz von 1797 Über epische <strong>und</strong> dramatische Dichtung <strong>und</strong> in den<br />

ausführlichen Briefen, die darauf Bezug nehmen, das Epische immer noch durch den<br />

Hinweis auf den Rhapsoden erklärt: »Er läse hinter einem Vorhang am allerbesten, so<br />

daß man von aller Persönlichkeit abstrahierte <strong>und</strong> nur die Stimme der Musen im<br />

allgemeinen zu hören glaubte.« Sowohl in den Erzählungen dieser beiden Männer als<br />

auch später in denen Tiecks <strong>und</strong> Kleists mit all ihren Nachwirkungen ist noch stets das<br />

Gefühl gelassenen Fabulierens intendiert.<br />

Allerdings wissen die beiden Klassiker auch schon von der Neigung der Zeit zur<br />

Formvermischung, die vor allem auf Kosten des Epischen geht. Es drängt alles »zur<br />

Darstellung des vollkommen Gegenwärtigen«, zur leibhaftigen Anschaubarkeit hin. Gr<strong>und</strong>,<br />

nach Goethes Meinung: die bequemen Menschen wollen, »daß nur ja ihrer Imagination<br />

keine Tätigkeit übrig bleibe« ..., alles »soll sich dem wirklichen Wahren völlig an die Seite<br />

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