Hegel: Vorlesungen über die Beweise vom Dasein ... - Leo-dorner.net
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Aber gegen <strong>die</strong> praktische Endlichkeit stellt sich das theoretische noch<br />
groß und weit dar; aber <strong>die</strong>se Zwecke, Pläne oder Wünsche usf., was im<br />
Kopfe keine Schranken hat, wie bringen sie, an <strong>die</strong> Wirklichkeit, der sie<br />
bestimmt sind, herangebracht, <strong>die</strong> menschliche Beschränktheit vollends<br />
vor Augen! Jene Weite der praktischen Vorstellung, das Streben, das<br />
Sehnen, eben daß es nur Streben, Sehnen ist, zeigt an ihm selbst seine<br />
Enge. - Diese Endlichkeit ist es, welche dem Unterfangen, das Unendliche<br />
zu fassen, zu begreifen, vorgehalten wird; der kritische Verstand, der<br />
<strong>die</strong>sen schlagend sein sollenden Grund festhält, ist <strong>über</strong> <strong>die</strong><br />
Verstandesbildung jenes Organisten in L. in der Tat nicht hinaus, er steht<br />
vielmehr gegen denselben zurück, denn <strong>die</strong>ser gebrauchte solche<br />
Vorstellung unbefangen nur, um <strong>die</strong> Größe der Liebe Gottes einer<br />
Bauerngemeinde vorstellig zu machen. [314 Schlechter noch als der<br />
schöndenkende Organist stehe der <strong>die</strong> Vernunft kritisierende Verstand da,<br />
wenn er <strong>vom</strong> Scheitern der unendlichen Erkenntnis ausgehe, weil ihm das<br />
Scheitern in der praktischen Endlichkeit schon so oft unterlaufen sei.]<br />
Aber jener kritische Verstand gebraucht solche Endlichkeit gegen Gottes<br />
Liebe und deren Größe, nämlich gegen Gottes Gegenwart im<br />
Menschengeiste; <strong>die</strong>ser Verstand behält <strong>die</strong> Mücke der Endlichkeit fest im<br />
Kopfe, den betrachteten Satz "das Endliche ist", von welchem unmittelbar<br />
erhellt, daß er falsch ist, denn das Endliche ist <strong>die</strong>s, was zu seiner<br />
Bestimmung und Natur hat, zu vergehen, nicht zu sein, so daß dasselbe<br />
gar nicht gedacht, vorgestellt werden kann ohne <strong>die</strong> Bestimmung des<br />
Nichtseins, welche im Vergehen liegt. Wer ist so weit, zu sagen: das<br />
Endliche vergeht. Wenn zwischen das Endliche und sein Vergehen das<br />
Jetzt eingeschoben und dem Sein dadurch ein Halt gegeben werden soll:<br />
"das Endliche vergeht, aber jetzt ist es", so ist <strong>die</strong>s Jetzt selbst ein<br />
solches, das nicht nur vergeht, sondern selbst vergangen ist, indem es ist:<br />
jetzt, indem ich <strong>die</strong>s Bewußtsein des Jetzt habe, es spreche, ist es nicht<br />
mehr, sondern ein Anderes. [315 Der kritische Verstand vergehe sich<br />
verkennend an der unendlichen Liebe Gottes gegen das Endliche, das<br />
seines sei, somit gegen des absoluten Geistes Gegenwart in der<br />
Gegenwart des endlichen Geistes; daran sei ersichtlich, daß er eine<br />
falsche Endlichkeit „gebrauche“, um seine endliche Verständigkeit als<br />
un<strong>über</strong>schreitbare aufzublasen.<br />
Die köstliche „Mücke der Endlichkeit“ muß nun dazu herhalten, logische<br />
Dresche zu beziehen: der gebrauchte Satz „das Endliche ist“, wird in<br />
seiner unlässlichen Verstandesborniertheit nochmals gebissen. Was dem<br />
Verstand das Selbstverständlichste scheint, <strong>die</strong> Selbstevidenz <strong>die</strong>ses<br />
Satzes, dem wird kurzerhand der Mückenkopf abgebissen: es erhelle<br />
„unmittelbar, daß er falsch ist.“ - Sein ist eine Verstandesabstraktion, das<br />
„ist“ bedarf <strong>über</strong>verständiger Behandlung, um nicht als ewige Mücke<br />
verkannt zu werden.<br />
Freilich könnte sich der Verstand mit dem geforderten Satz: ‚das Endliche<br />
ist und ist nicht’ schon darum nicht anfreunden, weil statt des einen<br />
verständigen plötzlich zwei erscheinen, und der zweite scheint zwar nicht<br />
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