Hegel: Vorlesungen über die Beweise vom Dasein ... - Leo-dorner.net
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X. - Erfüllt somit mit Sehnsucht ist es unbefriedigt in sich, aber <strong>die</strong>se<br />
Sehnsucht ist <strong>die</strong> Sehnsucht der Religion; es ist somit darin befriedigt,<br />
<strong>die</strong>se Sehnsucht in sich zu haben; in der Sehnsucht hat es das subjektive<br />
Bewußtsein seiner, und seiner als des religiösen Selbst. Hinausgerissen<br />
<strong>über</strong> sich nur in der Sehnsucht, behält es sich selbst eben in ihr und das<br />
Bewußtsein seiner Befriedigung und, nahe dabei, seiner Zufriedenheit mit<br />
sich. Es liegt aber in <strong>die</strong>ser Innerlichkeit auch das entgegengesetzte<br />
Verhältnis der unglücklichsten Entzweiung reiner Gemüter. Indem ich mich<br />
als <strong>die</strong>ses besondere und abstrakte Ich festhalte und vergleiche meine<br />
Besonderheiten, Regungen, Neigungen und Gedanken mit dem, womit ich<br />
erfüllt sein soll, so kann ich <strong>die</strong>sen Gegensatz als den quälenden<br />
Widerspruch meiner empfinden, der dadurch perennierend wird, daß ich<br />
[mich] als <strong>die</strong>ses subjektive Mich im Zwecke und vor Augen habe, es mir<br />
um mich als mich zu tun ist. [71 Mit der Sehnsucht verbinden sich also im<br />
religiösen Ich-selbst zwei Gegenmomente: a) <strong>die</strong> glückliche Zufriedenheit<br />
und b) <strong>die</strong> unglückliche Entzweiung, - zwei Dialektiken, <strong>die</strong> dem religiösen<br />
Bewußtsein ursprünglich angehören. In der Sehnsucht hat das Ich keinen<br />
Frieden mit sich, es ist nicht selig, sondern <strong>die</strong> Sehnsucht nach Seligkeit;<br />
aber es hat sich als empfindendes gerade an der Sehnsucht als intensives<br />
Empfinden, und weil das Ziel, <strong>die</strong> Seligkeit, sich nicht wie eine gebratene<br />
Taube zu uns bequemt, befriedet es sich in seinem Unfrieden als einem<br />
Scheinfrieden; es vergeht ja nicht, indem es sich seiner Sehnsucht<br />
hingibt. Daher das säkulare Ich den Rat erteilt: arbeit, denn allein Arbeit<br />
macht das Leben süß...<br />
<strong>Hegel</strong>s latenter Vorwurf dahinter: im inneren Konnex zwischen<br />
Gefühlsleben und Sehnsuchtsleben vollstrecke sich deren Urteil: beide<br />
seien abstrakt, noch nicht konkrete Religiosität. Im neuen Testament<br />
steht statt Sehnsucht fast durchgängig Hoffnung, - mit gutem Grund. -<br />
<strong>Hegel</strong>s spitze Formulierung im Umsturz der hinausgerissensten Sehnsucht<br />
in <strong>die</strong> platteste Zufriedenheit ist natürlich auch eine Spitze gegen <strong>die</strong><br />
„blaue Blume“ der Romantiker.<br />
Auf der anderen Seite schlägt <strong>die</strong> Unerfüllbarkeit der Sehnsucht, das<br />
Nichteintreffen der Seligkeit, in Verzweiflung um; und ein in sich<br />
verzweifeltes Ich, das an seinem Inhalt verzweifelt, ist mit sich entzweit,<br />
denn es ist so, wie es sich nicht haben will. Es will in <strong>die</strong> Richtung der<br />
Sehnsucht und muß doch zugleich in <strong>die</strong> Gegenrichtung der Verzweiflung,<br />
und jene Richtung wird unmittelbar als <strong>die</strong>se Richtung erfahren:<br />
unglückliches Bewußtsein. Die Fährte meines Glückes ist zugleich <strong>die</strong><br />
Fährte meines Unglücks. Ein böser Gott hat mich verdammt, als<br />
Unglücklicher und Verzweifelter zu enden.<br />
Die Dialektik der gefühlsbestimmten religiösen Innerlichkeit scheint<br />
unerträglich, und in der Tat: sie führt im säkularen Gemüt zum Umschlag<br />
in <strong>die</strong> Veräußerlichung des religiösen Bewußtseins selbst, es entledigt sich<br />
eines Gefährtes von so problematischer Natur, es wendet sich der Welt<br />
und deren Gottheiten zu.<br />
Das Sollen im sehnsüchtigen Ich-selbst kann also als ruhiges und<br />
fortwährendes Approximieren hingenommen oder als zerstörerisches<br />
Versagen und Nicht-Approximieren nicht mehr hingenommen werden; im<br />
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