Hegel: Vorlesungen über die Beweise vom Dasein ... - Leo-dorner.net
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Autonomie unendlich vieler Freiheiten, <strong>die</strong> alle ihre Notwendigkeiten<br />
haben, als Erfinder wahrer Freiheiten und Welten, als Schöpfer einer<br />
neuen Welt, eines neuen - allmächtigen - Menschen; <strong>die</strong>ses Wort bedeutet<br />
vielmehr, daß <strong>die</strong> Religion in neuer Gestalt wieder an <strong>die</strong>se Freiheitswelten<br />
„hinzukommen“ muß.<br />
Dies setzt natürlich voraus, daß wir <strong>die</strong> Wahrheit der christlichen<br />
Offenbarung als eine absolute Vernunftnotwendigkeit, als eine<br />
Notwendigkeit des Erlösungsdenkens Gottes in der Geschichte der<br />
Menschheit erkennen. Daß folglich der Mensch an sich und der Messias in<br />
einer ewigen Identität sind, <strong>die</strong> in jedem Menschen Realität werden soll.<br />
Dies ist ein absolutes Sollen, das alle anderen, <strong>die</strong> stets nur relative sind,<br />
nur relative Freiheiten endlicher, obzwar notwendiger Wahrheiten und<br />
Zwecken, <strong>über</strong>greift, weil nur in <strong>die</strong>sem <strong>die</strong> Endlichkeit des Menschen<br />
versöhnbar ist.<br />
Es ist also „denkendes Erkennen“, wie <strong>Hegel</strong> gegen jeglichen<br />
voluntaristisch theologischen Ansatz festhält, als Erkennen der absoluten<br />
Denkregionen, in denen Gott <strong>die</strong> Gesetze denkt, das Gebot der<br />
menschheitlichen Stunde, - jedenfalls für jede Philosophie, <strong>die</strong> <strong>die</strong>sen<br />
Namen als einer Liebe zur göttlich notwendigen Weisheit ver<strong>die</strong>nt. Die<br />
göttliche Vernunft ist höher als jede menschliche; aber <strong>die</strong> menschliche ist<br />
ohne <strong>die</strong> göttliche keine Vernunft. In <strong>die</strong>sem Satz ist aber von der<br />
geschichtlichen Bewegung <strong>die</strong>ser Identität der beiden Vernünfte<br />
abstrahiert; es ist von der Geschichte abstrahiert; also von der je<br />
konkreten Gestalt <strong>die</strong>ser Identität in der Geschichte.<br />
Daß auf der Stufe der „Wahrheitsreligion“ - als des vormodernen<br />
Christentums - <strong>die</strong> Wahrheit und deren drohende Freiheit lediglich durch<br />
Autorität angenommen wird, versteht sich; <strong>die</strong>s ist ja eine und <strong>die</strong>selbe<br />
Sache: in einer Wahrheitsreligion zu leben und den Glauben aus Autorität<br />
an <strong>die</strong> Glaubensinstitution und deren hierarchische Vermittlungsweisen<br />
der Wahrheit anzunehmen, - zu beglaubigen aus Glauben an <strong>die</strong> Autorität<br />
Glauben.<br />
Aber schon darin, so <strong>Hegel</strong>, sei, wenn auch „noch so unentwickelt“, bereits<br />
eine „Stätte des denkenden Bewußtseins“ vorbereitet, denn <strong>die</strong> Prinzipien<br />
des Glaubens, in welchen <strong>die</strong> Wahrheiten und ihre Gesetze angenommen<br />
und ins Leben getragen werden, sind zugleich <strong>die</strong> Gedanken von<br />
Handelnden, von „in sich allgemeinen Grundsätzen“.<br />
Es ist klar, daß <strong>die</strong> Religion auf <strong>die</strong>ser Stufe jeden anderslautenden<br />
Wahrheitsanspruch negieren muß; daß keine Wissenschaft gegen das<br />
Gebäude der durch den wahren Glauben erklärten und geord<strong>net</strong>en Welt<br />
aufbegehren darf; daß keine Kunst gegen das Heil <strong>die</strong>ses Glaubens ihren<br />
eigenen Schönheiten frönen darf; daß keine Politik ihren eigenen Staat<br />
sich machen darf; daß keine Gesellschaft ihren eigenen -<br />
religionsneutralen - Wegen nachgehen darf. Alle <strong>die</strong>se nichtreligiösen<br />
Sphären verhalten sich auf <strong>die</strong>ser Stufe, in der sie kaum schon embryonal<br />
existieren, lediglich reaktiv, gleichsam im Mutterschoß der Kirche. Diese<br />
weiß nicht, daß sie mit einer neuen Welt schwanger geht; und <strong>die</strong> neue<br />
Welt weiß nicht, daß sie in sich eine neue Religion als ihren Zwilling<br />
mitgeboren bekam.<br />
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