Hegel: Vorlesungen über die Beweise vom Dasein ... - Leo-dorner.net
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angenommen wird; - <strong>die</strong>se wird dann als vergangene und bloß historische<br />
abgestoßen, das gegenwärtige Bewußtsein verliert den<br />
Traditionszusammenhang mit seiner eigenen Geschichte, es dünkt sich -<br />
gerade als historisches und historisierendes - in dem Sinne <strong>über</strong> alle<br />
Geschichte erhaben, als es jede Epoche der Wissenschaft, wohlgemerkt<br />
einer wiederum nur <strong>die</strong> Geschichte als Absolutes glaubenden<br />
Wissenschaft, unterwirft. Daß <strong>die</strong>ser Zirkel selbstwidersprüchlich ist,<br />
leuchtet ein, nicht aber <strong>die</strong>sem Bewußtsein, das ja <strong>die</strong>ser Zirkel ist.<br />
Saumseligkeit, härter: Gewissenlosigkeit sei es, so Anselm, das Geglaubte<br />
nicht auch durch Vernunft beweisen zu wollen, - allerdings mit der<br />
bedingenden Einschränkung: „wenn wir im Glauben befestigt sind.“ - Eine<br />
interessante Konstellation: denn man könnte fragen: wozu noch <strong>die</strong><br />
Befestigung durch <strong>die</strong> Vernunft, wenn sie durch den Glauben ohnehin<br />
geschehen?<br />
Doch <strong>die</strong>ser Einwand verfängt nicht, da der Geist, wie oben ausgeführt, in<br />
Hinsicht der Religionsinhalte vor allem durch den Gegensatz von Vernunft<br />
(Denken) und Glauben (Andenken) bestimmt wird. Wer daher im Glauben<br />
durch <strong>die</strong>sen fest geworden, ist <strong>die</strong>s an sich immer schon auch durch <strong>die</strong><br />
Vernunft oder deren Neutralisierung und Vergleichgültigung. Im Andenken<br />
ist <strong>die</strong> Kehrseite, das gesetzte Denken, untrennbar vorhanden.<br />
Daher Saumseligkeit: der Mensch würde seine Ganzheit und Identität<br />
verlieren, brächte er nicht Einheit in sein immer zugleich denkendes und<br />
andenkendes Verhalten in seiner lebenswichtigen Sache: der Religion.<br />
Natürlich könnte man an <strong>die</strong>ser Stelle auf <strong>die</strong> Paradoxie hinweisen, daß<br />
auch der Satz, der Glaube oder sein Inhalt sei höher als alle Vernunft, <strong>die</strong><br />
Weisheit der Menschen sei Torheit angesichts der Weisheit Gottes, einer<br />
Vernunfterklärung bedürfte und zugänglich sein müßte.]<br />
XI. - In der protestantischen Kirche hat es sich ebenso eingefunden, daß,<br />
verbunden mit der Theologie oder auch neben ihr, <strong>die</strong> vernünftige<br />
Erkenntnis der religiösen Wahrheiten gepflegt und in Ehren gehalten<br />
worden ist; das Interesse sprach sich dahin aus, zuzusehen, wie weit es<br />
das natürliche Licht der Vernunft, <strong>die</strong> menschliche Vernunft für sich, in der<br />
Erkenntnis der Wahrheit bringen könne, mit dem wesentlichen Vorbehalt<br />
dabei, daß zugleich durch <strong>die</strong> Religion dem Menschen höhere Wahrheiten<br />
gelehrt worden sind, als <strong>die</strong> Vernunft aus sich zu entdecken imstande sei.<br />
[11 Enthält eine Anspielung an Luthers Feindschaft gegen <strong>die</strong> Philosophie;<br />
denn der Vorbehalt des Reformators war kein geringer, nicht einmal nur<br />
beschimpfte er seine Feindin Vernunft. Nun liegt aber in der Formulierung<br />
ein Ausweg: denn daß <strong>die</strong> Vernunft aus sich <strong>die</strong> Glaubenswahrheiten nicht<br />
finden könne, <strong>die</strong>s würde auch <strong>Hegel</strong> zugeben und sogar zur Basis seiner<br />
Lehre von der Einheit von Glauben und Wissen machen.<br />
Wären <strong>die</strong> Wahrheiten der christlichen Religion aus der Vernunft<br />
entdecken zu gewesen, dann hätten schon <strong>die</strong> antiken Philosophen nicht<br />
nur das Konzept einer Menschwerdung Gottes gehabt, - was absurd ist,<br />
auch nur angedacht zu werden. Es muß also durch und in Religion<br />
geschehen sein, was nur durch <strong>die</strong>se Akte - Bedingungskette und<br />
unbedingte Setzung - geschehen konnte und mußte; <strong>die</strong> Philosophie, <strong>die</strong><br />
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