Hegel: Vorlesungen über die Beweise vom Dasein ... - Leo-dorner.net
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der Religion unmittelbar eine Vielheit an Inhalt ist, ist jenes<br />
„Zurückdrängen des Selbstbewußtseins in sich“ nur als steter Wechsel<br />
auch an Gefühlsbestimmtheit möglich, und daher ist der<br />
Unmittelbarkeitssatz „So ist er mein Gefühl“ in dessen Bewegung<br />
aufzulösen beziehungsweise sich selbst auflösend.<br />
Nähe und Differenz von Gefühl und Vorstellung in Relation zu einem<br />
bestimmten Inhalt könnte am Begriff und der Realität von Liebe -<br />
immerhin der des Ersten christlichen Gebotes - präzisiert werden. Der<br />
frühe <strong>Hegel</strong> hat bekanntlich am Wesen der Liebe seine Formel <strong>vom</strong><br />
Beisichsein im Anderen gefunden, - als Formel für <strong>die</strong> Freiheit des<br />
Begriffes, <strong>die</strong> als ontologische Form jedes Inhaltes von Liebe anzusehen<br />
wäre. Daran ist sogleich zu sehen, daß Liebe unendlich mehr sein muß als<br />
<strong>die</strong> bloße Form des Gefühls, weil Liebe, wenn sie nicht an Unwahres soll<br />
verschwendet und darin verdorben werden, nur an einem wahren Inhalt<br />
wahre Liebe sein kann.<br />
Darauf verweist auch das Faktum, daß das Gefühl als Gefühl schlechthin<br />
sprachlos, unaussprechlich und auch unausdenkbar ist, - das innerste<br />
Residuum der Individualität des Ichs, worin es sich gleichsam nicht Objekt<br />
werden kann. (Daher <strong>die</strong> Liebe noch des modernen - durch Reflexion<br />
bestimmten Menschen - zur Musik und zum Musizieren.) Nur Sprache und<br />
Begriff und alle sinnlichen Media und Mittel drücken Gefühl aus, also<br />
kommunikativ heraus aus dem Innerlichkeitsschacht der<br />
unaussprechlichen und unzugänglichen Selbstidentität. (Und <strong>die</strong><br />
Scheinsprache Musik scheint <strong>die</strong> universalste Selbstentäußerung des<br />
modernen Ichs zu sein. Ein trügerischer, aber gleichwohl globaler Schein.)<br />
Schon <strong>die</strong> Reduktion des Glaubens auf ein unmittelbar behauptetes<br />
unmittelbares Wissen war eine subjektive Reduktion; <strong>die</strong> Reduktion auf<br />
das Gefühl wäre <strong>die</strong> nochmalige Steigerung zu nur mehr individueller, zu<br />
letztsubjektiver Verinnerlichung.<br />
Daß <strong>Hegel</strong> im Gefühl <strong>die</strong> innigste Identität des Glaubens mit seinem Inhalt<br />
ansetzt, ist auch insofern bedeutsam, weil für das Denken oder Wissen,<br />
also für <strong>die</strong> Position <strong>Hegel</strong>s, nicht das Gefühl, sondern das Denken <strong>die</strong><br />
innigste Identität sein soll und muß. Konträrere Innigkeiten als <strong>die</strong> von<br />
Gefühl und Begriff sind kaum denkbar, - gerade durch ihren scheinbar<br />
un<strong>über</strong>windlichen Gegensatz gehören sie - innigst - zusammen. Wer das<br />
Tiefste gedacht, hat auch das Tiefste empfunden, ein Satz, dessen<br />
Umkehrung ungültig ist.<br />
(Aber sehr wohl ist es möglich, einen speziellen Inhalt, und wäre es der<br />
vereinzeltste und sinnlichste - und exakt <strong>die</strong>se sind dafür gemacht, nur<br />
Inhalte von Empfindung und Gefühl zu sein - so tief zu empfinden, daß<br />
ich keiner weiteren Gedanken mehr bedarf, in <strong>die</strong>sem Gefühl - sei es<br />
positiv, sei es negativ - geborgen oder gefangen zu sein. Alle unsere<br />
Leidenschaften für sinnliche Genüsse oder ekelerregende Nichtgenüsse<br />
geschehen in <strong>die</strong>ser Form und Weise.)<br />
Nochmals: Die Antinomie des Gefühls ist einfacher Natur: Nur als Gefühl<br />
ist der Inhalt mein Inhalt; aber als Gefühl ist der Inhalt zugleich nur mein<br />
Gefühlsinhalt. Der Inhalt soll ganz mein Gefühl sein, zugleich aber ist das<br />
Ich als Gefühl nur <strong>die</strong> unmittelbare Identität des Ichs mit sich, <strong>die</strong>ses<br />
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