Hegel: Vorlesungen über die Beweise vom Dasein ... - Leo-dorner.net
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des Geistes und für den Geist ist, erfassen kann. - Daher auch <strong>die</strong> leere<br />
Melancholie, wenn wir an Orte unseres vormaligen Lebens zurückkehren:<br />
<strong>die</strong> Wahrheit der vergangenen Lebenstage ist in unserer heutigen<br />
aufgehoben und verschwunden, - wir sind freier geworden; vor uns ist<br />
daher der Leichnam eines Lebens-Ortes, nicht der Geist „von damals“.<br />
Daher weiters <strong>die</strong> Unmöglichkeit, Zeitzeuge zu sein als Instanz von<br />
geschichtlicher und politischer Wahrheit; nur wer dabei gewesen, der<br />
wüßte, was eigentlich geschehen, wird gern behauptet. Klemperer, in<br />
seinen „unglaublichen“ Tagebüchern, reflektiert <strong>die</strong>sen Tatbestand<br />
inmitten des nationalsozialistischen Grauens; immer wieder wirft er sich<br />
vor, nun zwar inmitten des Wahnsinns und Terrors zu leben und<br />
unmittelbar betroffen zu sein von Gewalt und Bedrohung, dennoch könne<br />
er ein wahres Gesamtbild der „Gegenwart“ nicht geben, er wisse nicht,<br />
wie <strong>die</strong> Katastrophe kommen konnte, wie sie zu erklären sei, wohin sie<br />
führen wird, was „eigentlich“ geschehe; unzählige Erklärungen und<br />
Meinungen schwirrten durch <strong>die</strong> Köpfe der Menschen usf.<br />
Der Glaube an <strong>die</strong> sinnlichen Unmittelbarkeiten der Geschichte als an <strong>die</strong><br />
wahren „Authentizitäten“ der Geschichte - ihres Inhaltes, ihrer Wahrheit,<br />
ihres eigentlichen Gewesenseins - verdankt sich also gleichfalls jenem<br />
illusionären Vorstellen, das eine unmögliche und falsche Welt vorstellt,<br />
weil es abstrakt denkt.]<br />
XIII. - Auf den angegebenen abstrakten Formalismus reduziert sich der<br />
Glaube, indem er als unmittelbares Wissen gegen vermitteltes bestimmt<br />
wird; <strong>die</strong>se Abstraktion erlaubt es, <strong>die</strong> sinnliche Gewißheit, <strong>die</strong> ich davon<br />
habe, daß ein Körper an mir ist, daß Dinge außer mir sind, nicht nur<br />
Glauben zu nennen, sondern aus ihr es abzuleiten oder zu bewähren, was<br />
<strong>die</strong> Natur des Glaubens sei. Man würde aber dem, was in der religiösen<br />
Sphäre Glauben geheißen hat, sehr Unrecht tun, wenn man in demselben<br />
nur jene Abstraktion sehen wollte. Vielmehr soll der Glaube gehaltvoll, er<br />
soll ein Inhalt sein, welcher wahrhafter Inhalt sei, vielmehr von solchem<br />
Inhalt, dem <strong>die</strong> sinnliche Gewißheit, daß ich einen Körper habe, daß<br />
sinnliche Dinge mich umgeben, ganz entfernt stehen; er soll Wahrheit<br />
enthalten, und zwar eine ganz andere, aus einer ganz anderen Sphäre als<br />
der letztgenannten der endlichen, sinnlichen Dinge. [60 Weil Etwas in<br />
meiner sinnlichen Gewißheit ist, deshalb sei es; <strong>die</strong>s der Witz der<br />
sinnlichen Gewißheit. Das Abstrakteste hält sich für das Konkreteste. Das<br />
Meinen der sinnlichen Gewißheit erscheint als Glaube eines positiven<br />
Denkens, welches <strong>die</strong> Welt als positive zu setzen vermeint.<br />
Was nicht in meiner sinnlichen Gewißheit, das existiert nicht für mein<br />
positives in der Welt-Sein; wie wahr; aber was mag <strong>die</strong>s für ein hohler<br />
säkularer Glaube sein, der sich für einen Gott einer Welt erklärt, <strong>die</strong> nur<br />
vor seinen Augen und vor seiner Nase existiert?<br />
Der positive Inhalt des - religiösen - Glaubens kann also nicht durch einen<br />
Glauben entstehen, in dem <strong>die</strong> sinnliche Gewißheit von Glaubensinhalten<br />
als erste und letzte Wissen wäre und als erzeugende Instanz waltete.<br />
Wohl fängt oder fing der Glaube so an, in der Glaubensgeschichte jedes<br />
Individuums; obwohl heute alle sinnlichen Gewißheiten, <strong>die</strong> einst an den<br />
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