Hegel: Vorlesungen über die Beweise vom Dasein ... - Leo-dorner.net
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Setzt sich im und gegen das Christentum das Denken in seiner<br />
Vernunftautonomie absolut, entsteht unwillkürlich ein Widerspruch in<br />
existierender Religion, der das bislang geschützte und gehegte -<br />
konsensfähige - Verhältnis von Glauben und Vernunft in Konflikt und<br />
Gegenstellung bringt.<br />
Unversöhnt sind Glauben und Vernunft bis zum heutigen Tage. Zerrüttet<br />
scheint <strong>die</strong> Möglichkeit, ihrer beider Wurzel, einer „gemeinsamen“,<br />
nachgehen zu können. Das Denken scheint den Glauben nur mehr<br />
bezweifeln, nicht mehr rechtfertigen zu sollen und zu können, und der<br />
Glaube scheint nur mehr seinem Denken (oder Nichtdenken), nicht dem<br />
Denken einer mit Vernunft argumentierenden Theologie und Philosophie<br />
vertrauen zu können.]<br />
VII. - Schon der Ausdruck Glaube ist dem christlichen vorbehalten; man<br />
spricht nicht von griechischem, ägyptischem usw. Glauben oder <strong>vom</strong><br />
Glauben an den Zeus, an den Apis usf. Der Glaube drückt <strong>die</strong> Innerlichkeit<br />
der Gewißheit aus, und zwar <strong>die</strong> tiefste, konzentrierteste, als im<br />
Gegensatze gegen alles andere Meinen, Vorstellen, Überzeugung oder<br />
Wollen; jene Innerlichkeit aber enthält als <strong>die</strong> tiefste zugleich unmittelbar<br />
<strong>die</strong> abstrakteste, das Denken selbst; ein Widerspruch des Denkens gegen<br />
<strong>die</strong>sen Glauben ist daher <strong>die</strong> qualvollste Entzweiung in den Tiefen des<br />
Geistes. [7 Wiederholt nochmals und beschreibt näher den Unterschied<br />
der religiösen Gemütsarten; <strong>die</strong> antike muß nicht glauben, denn sie weiß,<br />
wenn auch nur und dadurch zugleich ferme auf sinnliche Weise. Hier ist<br />
das Vorstellen in der äußeren Anschauung bei sich, auch das Wort der<br />
religiösen Dichtung wird als existenter Gottesgeist wahrgenommen. Das<br />
Bewußtsein ist insofern noch außer sich, noch in eine Sinnlichkeit<br />
versenkt, in der ihm das Göttliche als selbst von sinnlicher Gestalt<br />
erscheint.<br />
Dies der ideale Boden für <strong>die</strong> Ausbildung einer Religion, <strong>die</strong> zugleich<br />
Kunst, einer Kunst, <strong>die</strong> zugleich Religion sein konnte. Damit ist hier auch<br />
noch nicht jenes Individuum in der Welt, daß in der Gewißheit seiner<br />
Innerlichkeit seine Glaubensgewißheit haben muß. Wichtig daher, <strong>die</strong><br />
Differenz des christlichen zum jüdischen Bewußtsein zu rekonstruieren;<br />
auch <strong>die</strong>ses muß schon zu jener postantiken Innerlichkeitsgewißheit<br />
unterwegs gewesen sein.<br />
Die Gewißheit des Glaubens ist also im Christentum <strong>die</strong> tiefste und<br />
zugleich abstrakteste, das Denken berührende; sie scheint eine nur mehr<br />
denkbare, nur mehr gedachte zu sein. Dies würde zugleich nahelegen, daß<br />
eben dadurch eine Einheit von Glauben und Vernunft sowohl möglich wie<br />
sogar notwendig sein könnte. Dies <strong>die</strong> Position <strong>Hegel</strong>s. Während Kant von<br />
der praktischen Vernunft her zum Postulat des Glaubens an eine zu<br />
postulierende Vernunftgottheit gelangt, - eine stets problematische<br />
Postulatsgewißheit somit, <strong>die</strong> nicht mehr jene des originär glaubenden<br />
Bewußtseins ist und <strong>die</strong> als theoretische Vernunft allen Glauben an eine<br />
Beweisbarkeit des <strong>Dasein</strong>s Gottes aus Gründen und Inhalten der Vernunft<br />
verloren und „zertrümmert“ hat.<br />
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