Hegel: Vorlesungen über die Beweise vom Dasein ... - Leo-dorner.net
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Die Formel „wir kommen am kürzesten ab“ ist heute kaum mehr<br />
verständlich; und auch <strong>die</strong> Metapher „trocken“ deutet nur an, daß <strong>die</strong><br />
Tautologie „Gott“ einem Schweigen und Verschweigen des Inhaltes <strong>die</strong>ses<br />
Wortes gleichkommt, sodaß eben nur mehr <strong>über</strong> Religion kann und muß<br />
geredet werden. Liegt hier eine Schuld der zeitgenössischen Theologie<br />
vor? Haben nicht Küng und andere dicke Bücher <strong>über</strong> Gott geschrieben?<br />
Wurden sie vergeblich geschrieben?]<br />
XI. - So viel soll <strong>die</strong> Religion doch sein, daß sie ein Ankommen unseres<br />
Geistes bei <strong>die</strong>sem Inhalte, unseres Bewußtseins bei <strong>die</strong>sem Gegenstande<br />
sei, nicht bloß ein Ziehen von Linien der Sehnsucht ins Leere hinaus, ein<br />
Anschauen, welches nichts anschaue, nichts sich gegen<strong>über</strong> finde. In<br />
solchem Verhältnis ist wenigstens so viel enthalten, daß nicht nur wir in<br />
der Beziehung zu Gott stehen, sondern auch Gott in der Beziehung zu uns<br />
stehe. Im Eifer für <strong>die</strong> Religion wird etwa, wenigstens vorzugsweise, von<br />
unserem Verhältnis zu Gott gesprochen, wenn nicht selbst ausschließlich,<br />
was im Prinzip des Nichtwissens von Gott eigentlich konsequent wäre; ein<br />
einseitiges Verhältnis ist aber gar kein Verhältnis. [88 Lukas 17 finden wir<br />
<strong>die</strong> entsprechende Stelle zu <strong>die</strong>ser hier: das Reich Gottes sei a) nicht an<br />
äußeren Zeichen erkennbar, doch und dennoch b) „mitten unter Euch“.<br />
Die Gegenständlichkeit Gottes ist offenbar ein Problem auch jeder<br />
Offenbarungsreligion. Wie kann das absolut Ungegenständliche<br />
Gegenstand werden und sein? Das ens realissimum als Gegenstand aller<br />
Gegenstände? Nochmals dringt <strong>Hegel</strong>s Verdacht durch, daß das<br />
unendliche Reden <strong>über</strong> Religion nur verdecken soll, daß <strong>über</strong> den<br />
Gegenstand der Religion - Gott - nicht mehr geredet werden kann. Als<br />
wäre Religion inhaltslos geworden, weil sie - aus welchen Gründen und<br />
Ursachen auch immer - ihren Inhalt verloren hätte.<br />
Wenn nun freilich lediglich <strong>die</strong> Beziehung (zwischen Gott und Mensch)<br />
<strong>über</strong>haupt als real behauptet wird, dann, so <strong>Hegel</strong>, scheint <strong>die</strong><br />
Gegenseitigkeit derselben unvermeidlich, und darin liege schon ein<br />
(Behauptungs)Keim der Erkennbarkeit Gottes, ein Keim des <strong>Dasein</strong>s<br />
Gottes im <strong>Dasein</strong> des Menschen. Diese Behauptung kolli<strong>die</strong>rt natürlich mit<br />
der Behauptung, daß von Gott nichts gewusst werden könne; denn<br />
Nichtwissen hebt Gegenstand und Beziehung auf <strong>die</strong>sen auf; zu einem<br />
nichtwißbaren Inhalt kann es keine inhaltliche Beziehung geben, sondern<br />
eben nur, wenn <strong>über</strong>haupt, „Linien der Sehnsucht ins Leere hinaus.“]<br />
XII. - Wenn in der Tat unter der Religion nur ein Verhältnis von uns aus zu<br />
Gott verstanden werden sollte, so würde nicht ein selbständiges Sein<br />
Gottes zugelassen; Gott wäre nur in der Religion, ein von uns Gesetztes,<br />
Erzeugtes. Der soeben gebrauchte und getadelte 17/382 Ausdruck, daß<br />
Gott nur in der Religion sei, hat aber auch den großen und wahrhaften<br />
Sinn, daß es zur Natur Gottes in dessen vollkommener, an und für sich<br />
seiender Selbständigkeit gehöre, für den Geist des Menschen zu sein, sich<br />
demselben mitzuteilen; <strong>die</strong>ser Sinn ist ein ganz anderer als der vorhin<br />
bemerklich gemachte, in welchem Gott nur ein Postulat, ein Glauben ist.<br />
[89 <strong>Hegel</strong>s Beharren auf der Gegenseitigkeit der Beziehung bedeutet<br />
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