Hegel: Vorlesungen über die Beweise vom Dasein ... - Leo-dorner.net
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sein, wenn es nicht gute Gründe der Willkür anzugeben wüßte. [67 Je<br />
konzentrierter, desto abstrakter - <strong>vom</strong> Inhalt abstrahierender - sei das<br />
Gefühl und das unmittelbare Wissen, <strong>die</strong>s <strong>die</strong> These <strong>Hegel</strong>s; <strong>die</strong> eigene<br />
These aber von Gefühl und Unmittelbarkeit lautet genau gegenläufig: je<br />
konzentrierter, desto konkreter, den Inhalt umfassender,<br />
durchdringender, erlebender, vielleicht auch erzeugend undsofort.<br />
Die Unwahrheit der zweiten These kommt erst an den Tag, wenn sie<br />
befragt wird oder sich selbst befragt: was fühle ich eigentlich oder noch<br />
schärfer: was ist das eigentlich, das mich so unmittelbar und gefühlig<br />
umtreibt. „Du musst nur fühlen“, was das Rechte und Gute, das Wahre<br />
und Notwendige ist, dann wird es Dir schon zufliegen: <strong>die</strong>ser intuitive Rat<br />
setzt schon <strong>die</strong> Existenz eines durch sich stimmigen Inhaltes voraus, und<br />
bei allen allgemeinen Inhalten läuft <strong>die</strong> „Konzentration“ aufs eigene Fühlen<br />
<strong>die</strong>ser Inhalte letztlich auf deren Verbeliebigung und Beleidigung,<br />
Verkennung und Nichtachtung hinaus.<br />
Die beliebte Möglichkeit, „aus dem Gefühl“, „aus dem Bauch heraus“ zu<br />
entscheiden und zu handeln, ja mitunter auch <strong>die</strong> Notwendigkeit hiezu,<br />
verwechselt <strong>die</strong> Resultante aller (gefühlten)Motive und inhaltlichen<br />
Bestimmungen, <strong>die</strong> immer schon in unsere Entscheidungssituation<br />
eingegangen sind, mit unserer empfindenden Spontanreaktion darauf:<br />
noch <strong>die</strong> unmittelbarste Spontaneität ist eine vermittelte; wenn sie irrt,<br />
irrt sie nicht, weil ihre Spontaneität zuwenig „konzentriert“, das Gefühl<br />
zuwenig „tief“ gewesen, sondern weil ein Wurm, ein fauler Kern, ein<br />
Widerspruch im Reich der Motive und ihrer Inhalte falsch beurteilt wurde.<br />
Für und im Erkennen sollte das Gefühl den niedrigsten Kurswert, im<br />
Handeln einen durchaus hohen haben, sofern nämlich ein habituell<br />
gewordenes Wissen und Können in der Tat „wie aus dem Bauch heraus“<br />
praktisch werden kann und soll.<br />
Dennoch gilt: Die Raffinesse, mit der wir für <strong>die</strong> schlechtesten Handlungen<br />
gute Gründe vorzubringen wissen, resultiert auch aus <strong>die</strong>ser Fixierung an<br />
den „Bauch“, an das „Gefühl“ undsofort, weil im Gefühl als Gefühl kein<br />
Kriterium liegt dafür, <strong>die</strong> Notwendigkeit von notwendigen Gründen<br />
erkennen zu können. Diese müssen schon vor ihrer Gefühlsempfängnis in<br />
uns als notwendig erkannte empfangen worden sein.<br />
Sich aus Gefühl bestimmen - zu Handlungen, Urteilen, Entscheidungen -<br />
hieße letztlich: sich aus Unbestimmtheit bestimmen, also gar nicht. Die<br />
Anfälligkeit der weiblichen Psyche für astrologisches Bestimmtsein ist<br />
bekannt; bei den Sternen und deren Machenschaften holt frau sich, was<br />
ihr auf Erden oft und gern fehlt: kalten Verstand und distanzierte<br />
Vernunft. Der Mann wiederum hätte sich am liebsten ganz ohne Gefühl,<br />
also nicht durch Natur und Bauch bestimmt; er war und ist der Urheber<br />
jenes Weltbildes, in dem wir leben: verum-factum-mundus; man geht<br />
<strong>über</strong> Leichen, um nur das als wahr anzuerkennen, was man selbst<br />
verbrochen hat; auch <strong>die</strong>ser Weg führt noch nicht zum Gelben <strong>vom</strong> Ei der<br />
Vernunft und Vollendung.]<br />
VII. - Eine andere Seite in der Stellung, welche das Zurückziehen in das<br />
unmittelbare Wissen und ins Gefühl hervorbringt, betrifft das Verhältnis zu<br />
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