Hegel: Vorlesungen über die Beweise vom Dasein ... - Leo-dorner.net
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Empfinden, Phantasieren, - eben jene sich selbst verstärkende Form des<br />
endlichen Geistes, <strong>die</strong> ihren Inhalt äußerlich mit sich führt, daher an<br />
jedem Inhalt nach Lust und Laune ausgeführt werden kann. (Man könnte<br />
ein spielendes von einem nichtspielenden Denken qua Geist<br />
unterscheiden).<br />
Jeder Religion ist immanent, daß sie versuchen muß, sich auf den Boden<br />
beziehungsweise in das „luftige“ Element des sich beweisenden<br />
Gedankens zu stellen beziehungsweise zu erheben. (Und in säkularen<br />
Epochen verstärkt sich <strong>die</strong>ses Müssen ums Unendliche, weil sie um ihren<br />
Bestand in neuer Weise ringen müssen; nichts schwieriger, als ein<br />
säkular-atheistisches Bewußtsein mit einem religiösen Bewußtein auf<br />
einem Boden, in einem Element - Sprache, Denken, Empfinden,<br />
Vorstellen undsofort - zusammenzubringen).<br />
Als wissender (theologisch gewordener)Glaube hat er seine vormalige<br />
(unterstellte) Unschuld und Naivität verloren, er fragt nun selbst nach<br />
dem Gedanken des Glaubens, nach den Gedankeninhalten der<br />
Glaubensinhalte, um <strong>die</strong>se aus jenen zu beweisen, weil jene sich selbst<br />
beweisen. - Dagegen scheint einwendbar, daß der „alte“ Glaube sich<br />
höher als alle Vernunft dünkte, - oder auch jenseits aller Vernunft: credo<br />
quia absurdum. So sei <strong>die</strong> Menschwerdung und vor allem <strong>die</strong> Kreuzigung<br />
wider alle Vernunft.<br />
Doch wird sie zugleich als absolut notwendiges Dogma behauptet, und<br />
eben <strong>die</strong>ses Behaupten kann sich nicht als ein willkürliches Behaupten<br />
behaupten; es gibt Argumente für und durch das Dogma, - und daher<br />
könnte man sagen: Dogmen konnten solange nicht widervernünftig sein,<br />
als sie „nur“ das Innerste der Offenbarung zu fassen und auszudrücken<br />
versuchten. Und allein indem sie anderen Dogmen inhaltlich<br />
widersprachen, ohne <strong>die</strong>sen Widerspruch zu thematisieren und zu lösen,<br />
zeigte sich ihre bloß endliche (verständige) Vernünftigkeit oder gar ihre<br />
Widervernünftigkeit (Absurdität) an. Etwas zu glauben, weil es absurd ist,<br />
macht auch <strong>die</strong>ses Glauben absurd.<br />
Stehen oder standen zwei Dogmen in ein und derselben Sache<br />
(„Glaubensartikel“) kontrovers, bedeutet(e) <strong>die</strong>s: unsere (damalige)<br />
Vernunft ist noch nicht der Notwendigkeit der Sache einsichtig; etwa: wer<br />
<strong>die</strong> Identität von Gott und Christus behauptet, muß auch deren<br />
Nichtidentität behaupten; daher war der Streit der Arianer und<br />
Athanasianer ein nur verständig vernünftiger, ein notwendig<br />
unvernünftiger, weil das Denken ihrer (Welt)Zeit <strong>über</strong> keine andere als<br />
bloß <strong>über</strong> eine dogmatische Vernunft verfügte.<br />
Die begriffene und bewiesene Offenbarung bleibt nichtsdestotrotz ein<br />
„Glaubensartikel“; ein Leben des „Glaubens“, also des religiösen Lebens<br />
der Hingabe an den einen Gott. - Im Namen <strong>die</strong>ses als beweisbar<br />
einsehbaren Gottes und seiner Offenbarung ist eine vormoderne<br />
Missionierung nicht mehr möglich; sie scheint daher auch geschichtlich<br />
zum Erliegen gekommen zu sein. Die heutige, scheinbar aktive<br />
Missionierung in der Dritten Welt ist nicht eigentlich Missionierung (als<br />
Eroberung fremder Kulturen durch <strong>die</strong> christliche), sondern Hilfe und<br />
Beihilfe zu einer neuen Menschheit.<br />
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