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Festschrift für Fritz W. Scharpf - MPIfG

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M.G. Schmidt · »Komplexe Demokratietheorie« nach drei Jahrzehnten 159<br />

multiple Ziele, die Kriterien der »aktiven Politik« (Mayntz/<strong>Scharpf</strong> 1973)<br />

und das Prüfkriterium optimaler Problemlösung im Falle von Verteilungs-,<br />

Niveau-, Niveaufixierungs- und Interaktionsproblemen 10 , sowie – nicht zuletzt<br />

– das Kaldor-Kriterium (Kaldor 1939; <strong>Scharpf</strong> 1992b). Dem Kaldor-<br />

Kriterium zufolge sind alle Vorhaben akzeptabel, durch die der aggregierte<br />

Netto-Nutzen aller Beteiligten gegenüber dem Status quo vermehrt wird.<br />

Dem Kaldor-Kriterium ist Genüge getan, wenn der Vorteil, der einer Partei<br />

aus einem Vorhaben erwächst, den Nachteil überwiegt, der hierdurch der<br />

anderen Partei entsteht. Die Anwendung des Kaldor-Kriteriums setzt den<br />

interpersonellen Kosten-Nutzen-Vergleich an die Stelle des individuellen<br />

Kosten-Nutzen-Kalküls und eignet sich auf Grund dieses Bezugs besser zur<br />

Erfassung der Wohlfahrt einer Gesamtheit (wie zum Beispiel der Wohlfahrt<br />

eines Gesellschaftssystems) als die wohlfahrtstheoretischen Kriterien der<br />

älteren Moralphilosophie und der Wirtschaftswissenschaft, die hauptsächlich<br />

individualistischer Art sind.<br />

Eingang in die neueren Varianten der komplexen Demokratietheorie fand<br />

überdies die Beobachtung zunehmender »Denationalisierung« (Zürn 1998,<br />

2001) von Gesellschaft, Wirtschaft und Politik (<strong>Scharpf</strong> 1999a). Die Denationalisierung<br />

bedrohe zunehmend die althergebrachte demokratische Legitimation<br />

auf nationalstaatlicher Ebene. Dass dem Nationalstaat die Kontrolle<br />

über das kollektive Schicksal seiner Bürger »mehr und mehr« entgleite, gibt<br />

<strong>Scharpf</strong> seit dem Schlussteil seiner Schrift Sozialdemokratisches Krisenmanagement<br />

in Europa von 1987 wiederholt zu bedenken (so <strong>Scharpf</strong> 1993b:<br />

165). Nicht minder skeptische Ausführungen sind 1998 zu hören. Die demokratischen<br />

Staaten steckten in einer tiefen »Malaise« (<strong>Scharpf</strong> 1998: 150).<br />

Der tiefste Grund hier<strong>für</strong> sei die voranschreitende Internationalisierung der<br />

Wirtschaft. Diese habe, so heißt es in einem besonders zuspitzenden Beitrag,<br />

die Fähigkeit der nationalen Politik zur »demokratischen Domestizierung<br />

des Kapitalismus« »beseitigt« (<strong>Scharpf</strong> 1998: 150). Das bedeute Ende<br />

der Vollbeschäftigungspolitik, Vorrang <strong>für</strong> Wirtschaftsstandortpflege, Schonung<br />

und Förderung von Kapitaleinkommen und von Unternehmen sowie<br />

»Einschränkung sozialstaatlicher Leistungen und … Abbau sozialer Sicherungssysteme«<br />

(<strong>Scharpf</strong> 1998: 150). Zur Krise gehöre zudem die tief greifende<br />

Verunsicherung der mittleren Arbeitnehmerschicht, vor allem der<br />

qualifizierten Facharbeiter und Angestellten. Diese sorgten sich zu Recht<br />

um die Sicherheit eines Arbeitsplatzes, die Sicherheit der Renten, und hätten<br />

10 So ein beträchtlicher Teil des Zielkatalogs in <strong>Scharpf</strong>/Reissert/Schnabel (1976).

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