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Festschrift für Fritz W. Scharpf - MPIfG

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274 IV · Föderalismus und Unitarismus<br />

selseitig. Diese Verbandsentwicklung hatte zunächst mit der Institutionalisierung<br />

der Arbeitsbeziehungen nichts zu tun. Tarifvertragliche Beziehungen<br />

hatten sich vor dem Ersten Weltkrieg überwiegend nur in Handwerk,<br />

Bauindustrie, Fertigwarenindustrie, Klein- und Mittelbetrieben ausgebildet.<br />

Hingegen blieb die Groß- und Schwerindustrie (insbesondere an der Ruhr)<br />

entschieden gewerkschaftsfeindlich und lehnte Tarifverträge entschieden ab.<br />

Daher waren 1913 erst 13 Prozent der Arbeiter tarifgebunden, unter diesen<br />

46 Prozent in Bezirkstarifverträgen, und nur 5,5 Prozent in Tarifverträgen<br />

mit reichsweiter Geltung (Ullmann 1977: 207–213, 231). 12<br />

Die Länderregierungen standen im Allgemeinen auf der Seite der Unternehmerschaft.<br />

Insbesondere von den Polizeibehörden wurden die Gewerkschaften<br />

trotz der Aufhebung des Koalitionsverbots in der Gewerbeordnung<br />

des Norddeutschen Bundes von 1869 (der späteren Reichsgewerbeordnung)<br />

weiterhin mit den Mitteln des Versammlungs- und Vereinsrechtes drangsaliert.<br />

Auch nach dem Ende des Sozialistengesetzes (1890) waren sie vielerorts<br />

systematischen Schikanen ausgesetzt (Schönhoven 1980: 74–90). Unter<br />

diesen Umständen gab es auch keine institutionellen Ansatzpunkte <strong>für</strong> eine<br />

Ausbildung von Netzwerken der Arbeitsbeziehungen auf der Länderebene.<br />

Die Zentralisierungsbewegung zeigt vielmehr, dass – zwanzig Jahre nach<br />

der Reichsgründung – der Nationalstaat schon ganz selbstverständlich zum<br />

politischen Handlungsraum der Gewerkschaftsbewegung ebenso wie ihrer<br />

Gegenspieler auf der Arbeitgeberseite geworden war. 13<br />

Diese Nationalisierung der Arbeitsbeziehungen erreichte dann im Ersten<br />

Weltkrieg ihren Höhepunkt und bewirkte jene »tiefe Symbiose« mit dem<br />

Nationalstaat, die fortan <strong>für</strong> die deutschen Gewerkschaften charakteristisch<br />

bleiben sollte (Streeck 1999). 14 Wiederum stoßen wir hier auf das Phänomen<br />

wechselseitiger Ressourcenabhängigkeit zwischen Staat und Verbänden:<br />

Die Oberste Heeresleitung drängte die Unternehmerschaft zur Anerkennung<br />

der Gewerkschaften, um damit deren Kooperation bei den Dienstverpflich-<br />

12 Das war lediglich 0,1 Prozent der Gesamtzahl der Tarifverträge, und sie erfassten im Wesentlichen<br />

die Drucker und Schriftsetzer.<br />

13 In diesen Zusammenhang gehört auch die Nationalisierung der Sozialpolitik, die hier ausgeklammert<br />

bleiben muss.<br />

14 Streeck geht zwar sehr viel weiter, wenn er (a.a.O) davon spricht, dass »die Gewerkschaftsbewegungen<br />

Europas« seit 1914 und verstärkt nach 1945 in eine solche »Symbiose<br />

mit ihren jeweiligen Nationalstaaten hineingewachsen« seien. Doch in einem emphatischen<br />

Sinne gilt das meines Erachtens vor allem von solchen Fällen, in denen der Nationalstaat<br />

zur Institutionalisierung der Arbeitsbeziehungen einen so entscheidenden Beitrag<br />

geleistet hat wie in Deutschland.

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