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Festschrift für Fritz W. Scharpf - MPIfG

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Lehmbruch · Verbändesystem zwischen Unitarismus und Föderalismus 281<br />

ist nun, wie es zu dieser strategischen Konvergenz der Akteure kommt. In<br />

einem Teil der Literatur findet man darüber mancherlei spekulative Hinweise<br />

auf organisatorische Interessenkalküle. So wird beispielsweise argumentiert,<br />

eine Gewerkschaft entgehe durch die Vereinheitlichung der Tarifpolitik<br />

»Legitimationsproblemen gegenüber ihren Mitgliedern« (Keller 1993:<br />

147). Das beantwortet aber nicht die Frage, warum Gewerkschaften in anderen<br />

Ländern, die in durchaus vergleichbarer Weise mit Legitimationsproblemen<br />

konfrontiert sein dürften, eher dezentralisierte und differenzierte Tarifstrategien<br />

wählen. Gerade wenn die Koordination als Ergebnis interessegeleiteten<br />

strategischen Handelns verstanden wird, muss der Umstand erklärt<br />

werden, dass in Deutschland Gewerkschaften und Unternehmerverbände <strong>für</strong><br />

übergreifende Koordinierung optiert haben, und zwar in zunehmendem Maße<br />

erst seit dem Ende der fünfziger Jahre.<br />

Unsere vergleichende Untersuchung legt die Hypothese nahe, dass dies<br />

der allmählichen Nationalisierung der Arbeitsbeziehungen seit 1916 zuzuschreiben<br />

ist. In die Interessenkalküle von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden<br />

geht offenbar als handlungsleitende Annahme die Überzeugung<br />

von der gesamtwirtschaftlichen Interdependenz ihres Handelns im nationalstaatlichen<br />

Rahmen ein. Dieser kognitive Interpretationsrahmen der<br />

beteiligten korporativen Akteure, der die strategischen Grundorientierungen<br />

bestimmt, ist aber offenbar das Ergebnis eines kollektiven Lernprozesses,<br />

der sich bis zum Ersten Weltkrieg zurückverfolgen lässt. Man hat darauf hingewiesen,<br />

dass diese kognitiven Orientierungen bei den deutschen Gewerkschaften<br />

mit der Rezeption des Keysianismus im DGB-Grundsatzprogramm<br />

von 1963 voll ausgebildet erscheinen. 26 In der Tat ergab sich eine ausgeprägte<br />

Passgüte dieser Orientierungen mit dem Programm der keynesianischen<br />

»Globalsteuerung« in den späten sechziger und frühen siebziger Jahren.<br />

Aber auch nach dem Niedergang der keynesianischen Wirtschaftspolitik<br />

blieb es bei dem gesamtwirtschaftlich-nationalstaatlichen Bezugsrahmen,<br />

wobei nicht zuletzt die Vorstellung einer sozialpartnerschaftlichen »Modernisierungskoalition«<br />

eine wichtige Rolle spielte. Der letzte Höhepunkt –<br />

und, so ist man versucht zu sagen, der Schwanengesang – dieser kognitiven<br />

Orientierung in der sozialpartnerschaftlichen Strategie war die »Gemeinsa-<br />

System der Industriegewerkschaften (vor allem der Industriegewerkschaft Metall und der<br />

Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft als der Nachfolgerin der Gewerkschaft Öffentliche<br />

Dienste, Transport und Verkehr) ausgeht (dazu schon Weitbrecht 1969: 54).<br />

26 So schon Bergmann/Jacobi/Müller-Jentsch (1975: 134–139), die das damals allerdings<br />

als »ideologische Anpassung« interpretierten.

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