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Festschrift für Fritz W. Scharpf - MPIfG

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Wiesenthal · Beyond Incrementalism 45<br />

über dem Parlament nötigte jedoch zu flexiblen Konzessionen an die Präferenzen<br />

der wechselnden und konzeptionell disparaten Parlamentsmehrheit.<br />

Folglich weicht das Profil der Innovation deutlich von den Vorstellungen ihrer<br />

Initiatoren ab. Ihre Realisierung verdankt sich dagegen einem die Grenzen<br />

des Policy-Subsystems überschreitenden Koppelgeschäft mit der Zollund<br />

Finanzpolitik.<br />

Die Polarisierung der Reformdiskussion durch klassenkämpferische Rhetorik<br />

und unverhohlene Machtinteressen der Eliten hat den Politikprozess<br />

überraschend wenig belastet. Womöglich half die antagonistische Gegnerschaft<br />

der Sozialdemokratie bei der Organisation einer bürgerlichen Mehrheit.<br />

Ebenso wenig waren der Politikentwicklungs- und Gesetzgebungsprozess<br />

durch die zunehmende Kritik der Wirtschaftskreise gefährdet, da die<br />

fachlich zuständige Ministerialbürokratie regelmäßig <strong>für</strong> zielführende Impulse<br />

zu sorgen und die benötigte Parlamentsmehrheit selbst zu organisieren<br />

verstand.<br />

Als Typus betrachtet, sind die deutschen Sozialreformen das Produkt<br />

dominierender machtpolitischer Interessen und der ideologisch-organisatorischen<br />

Fragmentierung des parlamentarischen Entscheidungssystems. Der<br />

von den Reformprotagonisten angetroffene Deutungsrahmen war nur schwach<br />

von liberalem Ideengut geprägt und stellte keine Hürde <strong>für</strong> die Idee der<br />

Staatszuständigkeit dar. Dieser korrespondierten vielmehr neue Einsichten<br />

in die Ursachen der sozialen Desintegration und der Organisationserfolge<br />

der Arbeiterbewegung. Bei der Wahl und Optimierung des Policy-Instrumentariums<br />

zeigte sich die Be<strong>für</strong>worterkoalition gegenüber der Wirtschaft,<br />

die über eine hinreichend effektive parlamentarische Repräsentation verfügte,<br />

abgestuft responsiv: bei der Selektion der Leitideen ausgesprochen<br />

offen, danach mit abnehmender Bereitschaft zu Modifikationen, wenn diese<br />

die Zustimmungsfähigkeit zu gefährden drohten. Gleichwohl konnten die<br />

nur peripher interessierten Parteirepräsentanten weit gehende Modifikationen<br />

bewirken. Denn das Konglomerat aus macht- und sozialpolitischen Interessen<br />

besaß zu keiner Zeit die Eigenschaft eines selbstverstärkenden Motivmixes,<br />

der die Risiken der parlamentarischen Befassung hätte absorbieren<br />

können. In der weiteren Öffentlichkeit wurde den verabschiedeten Innovationen<br />

nur geringe Bedeutung attestiert; ihre historischen Präzedenz- und Integrationseffekte<br />

wurden stark unterschätzt.

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