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Festschrift für Fritz W. Scharpf - MPIfG

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Schneider · Komplexität und Policy-Forschung 295<br />

des genannten »All-channel«-Netzwerks enthalten ist, wirft demgegenüber<br />

viel größere Erklärungsprobleme auf. Oft kann keine Regel angegeben werden,<br />

die in der Lage ist, diese Konfiguration prägnant zu beschreiben. Der<br />

Komplexitätsgrad einer Erscheinung ist aus dieser Perspektive dann eine<br />

Funktion der Länge der kürzesten Beschreibung, die die Regelmäßigkeiten<br />

dieser Erscheinung bei einem gegebenen Auflösungsgrad abbildet.<br />

Die wissenschaftliche Erklärung von Erscheinungen in Natur und Gesellschaft<br />

besteht darin, allgemein ausgedrückt, Regeln angeben zu können,<br />

unter welche ein betreffendes Phänomen subsumiert und damit letztlich logisch<br />

daraus abgeleitet werden kann. Bei komplexen Erscheinungen gibt es<br />

meist keine einfache Regel, aus denen eine Erscheinung »immer und überall«<br />

abgeleitet werden kann. Im schlechtesten Fall ist ein bestimmtes Phänomen<br />

vollkommen singulär und kann nur als solches beschrieben werden.<br />

Im Versuch, komplexe Erscheinungen zu erklären, haben sich recht unterschiedliche<br />

Forschungsstrategien herausgebildet, die letztlich zwischen<br />

zwei Extrempositionen angeordnet werden können: Auf der einen Seite<br />

steht der Reduktionismus – in den Sozialwissenschaften in Form des Individualismus<br />

–, der nur die Teile als ontologische Realitäten sieht und das<br />

Ganze als ein bloßes Aggregat betrachtet, während auf der anderen Seite der<br />

Holismus immer von Ganzheiten oder »Totalitäten« ausgeht, die nicht auf<br />

ihre Teile rückführbar sind. In manchen holistischen Versionen werden die<br />

Teile vom »Ganzen« beherrscht oder sogar konstituiert. Grundsätzlich geht<br />

diese Weltsicht immer von einer Priorität des Ganzen aus (Bunge 2000:<br />

399–402).<br />

Die holistische Grundidee lässt sich beispielsweise auch im Konzept der<br />

Synergie entdecken, das auf Kombinations- oder Kooperationseffekte von<br />

Elementen und Komponenten verweist, die ein System konstituieren (Corning<br />

1996). Synergie verweist auf neue Qualitäten, die aus der spezifischen<br />

Anordnung von Teilen eines Ganzen entstehen. Ein modernes Automobil<br />

besteht zum Beispiel aus Tausenden von spezifischen Teilen, die nur in einer<br />

ganz präzise definierten Anordnung den Effekt der kontrollierten Bewegung<br />

produzieren.<br />

Instruktiv ist hier die Position des Biologen Richard Dawkins (1990: 15–<br />

26), der auf Grund seiner »egoistischen Gene« (Dawkins 1976) zuweilen als<br />

»methodologischer Gen-Individualist« denunziert wurde. Seine Position ist<br />

jedoch differenzierter. Er erörtert die Problematik komplexer Strukturen an<br />

einem Vergleich biologischer und physikalischer Erscheinungen. Während<br />

die Physik sich im Wesentlichen mit homogenen Strukturen befasse, hätte<br />

es die Biologie grundsätzlich mit komplexen, strukturell heterogenen Unter-

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